Kinder- und Jugendpsychiatrie

Engpass in der Jugendpsychiatrie: Mehr Betreuung daheim

Die Isolation zuhause verschärft viele Probleme, der Behandlungsbedarf bei Kindern und Jugendlichen steigt.
Die Isolation zuhause verschärft viele Probleme, der Behandlungsbedarf bei Kindern und Jugendlichen steigt. imago images/Cavan Images
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Die Stadt Wien startet ein „Home Treatment“-Programm für junge Patienten mit psychiatrischem Therapiebedarf.

Im Lockdown geht es vielen Kindern und Jugendlichen schlecht. Depressionen, Schlafstörungen, Essstörungen, sozialer Rückzug, Selbstverletzungen, Aggressivität: Probleme wie diese nehmen zu, treten in der Pandemie schwerer auf, daher brauchen immer mehr Kinder und Jugendliche professionelle Hilfe. Erst vor wenigen Tagen hat etwa die Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie im AKH Alarm geschlagen: Die Effekte von Pandemie, Schulschließungen und Lockdowns würden zu mehr Patientenandrang führen, als man bewältigen könne.

Wien startet nun ein neues Betreuungsmodell: Ab März können Kinder und Jugendliche mit intensivem, psychiatrischem Therapiebedarf statt eines stationären Aufenthalts auch daheim betreut werden. Die Psychosozialen Dienste in Wien (PSD) und die Med-Uni Wien bieten in einem Zeitraum von zwei Jahren 50 Plätze für Home Treatment an. „Die Idee ist eine genauso intensive Therapie wie im stationären Bereich“, sagt Paul Plener, der Leiter der Kinder- und Jugendpsychiatrie am AKH.

„Das ist eine völlig neue Etappe. Es geht nicht nur um einen Hausbesuch, Home Treatment ist eine sehr intensive Behandlung zu Hause“, sagt Georg Psota, der Chefarzt der PSD. Je nach Bedarf sollen Ärzte, Psychologen, Sozialarbeiter, Sozialpädagogen, Pfleger oder Ergotherapeuten zu den Kindern oder Jugendlichen kommen. „Man bietet einen Rahmen, der einer stationären Behandlung gleicht, hat aber den Vorteil, dass man das Kind nicht aus sozialen Bezügen herausnimmt“, so Plener.

Manchmal brauche es die stationäre Betreuung – in vielen Fällen, wenn das Umfeld stabil ist, aber nicht. Und, die Möglichkeiten zur Therapie sind damit nicht mehr an verfügbare Spitalsbetten gekoppelt. Das Modell sei international vielfach erprobt, etwa in Großbritannien oder Deutschland.

Projekt war lange vor Corona geplant

Auch in Wien wurde das Projekt schon vor der Pandemie geplant, es ist keine Reaktion auf den akuten Engpass. Aber, „nun passt es zeitlich relativ gut“, sagt Facharzt Plener und spricht den akuten Bedarf, die „durch den Lockdown beeinflusste Dynamik“ an.

Das Projekt sei auch der Versuch, Kinder aufzusuchen, die den Weg in die Psychiatrie nicht schaffen oder verweigern, sagte Patrick Frottier, der Ärztliche Leiter des Extended Soulspace, des Kinder- und Jugendpsychiatrischen Ambulatoriums der Klinik Hietzing. Betroffene können jedenfalls die PSD kontaktieren, dann kann individuell abgeklärt werden, welche Betreuung geeignet ist, erklärt Georg Psota.

550 junge Patientinnen und Patienten pro Jahr

Zuletzt gab es in Wien jährlich rund 550 stationäre Aufnahmen von unter 18-Jährigen in der Psychiatrie. Sie blieben im Schnitt 30 Tage in stationärer Behandlung.

Sollte der Bedarf in Wien weiter steigen (und wenn es die Ressourcen zulassen), sei es möglich, in den zwei Jahren, auf die das Projekt vorerst ausgerichtet ist, mehr als die 50 geplanten Kinder und Jugendlichen zu betreuen, sagt Ewald Lochner, der Koordinator für Psychiatrie, Sucht- und Drogenfragen der Stadt Wien. Finanziert werde das Projekt von der Landeszielsteuerung der Stadt. Lochner richtete aber einen Appell an die Gesundheitskasse, sich an der Finanzierung zu beteiligen. Die Med-Uni wird das Programm begleitend evaluieren.

(cim)

(Die Presse)

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