Vorsicht: Da ist weit mehr als Homeoffice und Digitalisierung

Was kommt, was bleibt?
Was kommt, was bleibt?Marin Goleminov
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Zehn Erkenntnisse für Führungskräfte von Führungskräften über Arbeit und Arbeitsorganisation jenseits der Schlagwörter Homeoffice und Digitalisierung erfragte Wolfgang Lassl von sieben Top-Managern.

Viel ist von den Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf Arbeit und Arbeitsorganisation die Rede. Wolfgang Lassl von der Pure Management Group ging mit sieben Top-Führungskräften – Otmar Frauenholz (GF illy Caffè Österreich), Stefan Graf (GF Leyrer+Graf), Julian Hadschieff (CEO PremiQaMed), Georg Kopetz (CEO TTTech), Peter Lenz (CEO T-Systems Österreich und Schweiz), Karin Ramser (Direktorin Wr. Wohnen) und Heinz Scharl (ehem. Vorstand IFN-Holding/Internorm) – der Frage nach, was von Digitalisierung und Home Office bleiben wird.

Zehn allgemeine Erkenntnisse zog er aus den Gesprächen, darüber, was sich geändert hat und was noch zu tun ist:

  1. Der erste Lockdown schuf Nähe und Engagement, jetzt kämpfen wir mit der Erschöpfung. Etwas überraschend zunächst, aber für viele war die Krise nicht nur eine Krise. Im Gegenteil, sie schweißte zusammen. „Für das Teambuilding hätte es keine bessere Zeit gegeben“, resümiert Heinz Scharl. Es gibt aber Unterschiede: Während der erste Lock-down noch durchaus positive Effekte hatte, ist der zweite durch Müdigkeit bei den MitarbeiterInnen gekennzeichnet.
    Nach der Krise müssen Organisationen deshalb bewusst wieder „auftanken“ und zu sich finden. Diese Revitalisierung sollte man sich vornehmen.

  2. Die Digitalisierung führte zu Produktivitätsgewinnen bei transaktionalen Prozessen. Die Digitalisierung bedeutete für alle einen deutlichen Produktivitätsgewinn. Reisezeiten entfielen, Meetings waren für Karin Ramser straffer vorbereitet, pünktlicher und Entscheidungen wurden vielerorts rascher getroffen. Für Julian Hadschieff war die Krise deshalb auch eine wichtige Quelle für Innovationen. Für Heinz Scharl ist jetzt die Gefahr groß, dass wir nach der Krise wieder in alte Wasser zurückzufallen und uns der Mut zu mehr Schlankheit verlässt. Die Krise sollte man für Stefan Graf daher unbedingt als Katalysator für die (visionäre) Weiterentwicklung der Organisation nutzen.
    Das Potenzial der Digitalisierung liegt daher nicht nur in den neuen Technologien, sondern vor allem im Überdenken und Bereinigen etablierter Routinen, Handlungs- und Erwartungsmuster („Warum machen wir dies eigentlich so?“).

  3. Remote-Arbeiten führte zu deutlichen Verlusten bei transformativen Prozessen. Kreativ und strategisch denken und über die weitere Ausrichtung der Organisation reflektieren, ist in Videokonferenzen für Karin Ramser nicht oder nur schwer möglich. Otmar Frauenholz fehlt „das physische Gegenüber“ und für Stefan Graf mit diesem „die energetische Verbindung“. Die schwindende oder geteilte Aufmerksamkeit in Videokonferenzen ist eine Herausforderung und mindert die „Nachdenkkraft“ einer Organisation.
    Aus der Krise entstandene und nicht zu unterschätzenden Reflexionsdefizite müssen nach dieser wieder aufgeholt werden.

  4. Die laterale Kommunikation nahm in Organisationen ab und das Silodenken zu. Spontane und unkomplizierte Abstimmungen bei der Kaffeemaschine, in der Kantine oder an der Bar nach einem langen Workshop, die so wichtig für den Informationsaustausch oder die Generierung von Ideen in Organisationen sind, nahmen für alle befragten Führungskräfte deutlich ab. Das Risiko der Silobildung verstärkt sich daher für Peter Lenz, dem man aktiv begegnen muss.
    Organisationen brauchen offenkundig genügend Präsenz und den oft unterschätzten „Tratsch“, um sich gut informiert zu halten und weiterzuentwickeln.

  5. Distanz zwischen den Hierarchieebenen und die Gefahr der Blasenbildung nimmt zu. Die Unmittelbarkeit von Videokonferenzen täuscht: Man sieht zwar die MitarbeiterInnen direkt am Bildschirm, aber was sie sich wirklich denken und fühlen oder woran sie gerade sonst noch parallel arbeiten, bleibt verborgen. Die Gefahr, dass man sich als Vorstand oder Geschäftsleitung damit in einer Blase bewegt, nimmt für Peter Lenz und Georg Kopetz deutlich zu.
    Digitale Technologien begünstigen – das an sich nicht neue Phänomen der – Selbstinszenierung und -darstellung sowie der Blasenbildung.

  6. Einsamkeit nahm zu und Organisation als Gemeinschaft hat gelitten. Für viele ist die Präsenzorganisation Quelle für Zugehörigkeitsgefühl, Motivation und damit letztlich für Bindung, manchmal auch ein Zufluchtsort vor mancher Einsamkeit oder schwierigen Situation im Privaten.
    Virtuelle Socializing-Tools können diese gemeinschaftsbildende Funktion nicht ersetzen. Es wird weiter die persönliche Begegnung benötigen.
    Organisationen müssen nach der Krise ihre gemeinschaftsbildende Funktion (wieder-)beleben.
  7. Führung muss aktiver wahrgenommen werden und erfordert mehr soziale Kompetenz. Digitale Instrumente unterstützen für Georg Kopetz die Führungsarbeit nicht. Im Gegenteil, sie reduzieren die Möglichkeit der persönlichen Begegnung, Kommunikation und Auseinandersetzung. Emotionale Themen wie Konflikte, Probleme und Sorgen über den Bildschirm zu besprechen, ist für Otmar Frauenholz schwierig, wenn nicht sogar unmöglich. Zudem potenziert für Peter Lenz die Virtualisierung Führungsschwächen, die für Julian Hadschieff in der Krise kaum kompensiert werden können.
    Digitalisierung verlangt paradoxerweise nicht nur technologische, sondern noch mehr soziale Kompetenz. Führung im Zeitalter der Digitalisierung muss man sich bewusst vornehmen.

  8. Durch die Covid-19 Krise verloren Organisationen an der Außenbezug und die Selbstbeschäftigung nahm zu. Mit Lockdown und Home-Office leidet der Beziehungsreichtum einer Organisation. Das Ergebnis: Man schwimmt stärker im eigenen Saft und droht sich vielmehr mit sich selbst zu beschäftigen. Präsenz-Messen, wie Fach- oder Jobmessen, werden für Heinz Scharl daher weiterhin erforderlich sein.
    Stärkeres Remote-Arbeiten erfordert noch genauer darauf zu achten, dass der Reichtum an Außenkontakten nicht verkümmert, sondern gepflegt wird.

  9. Die Grenzen der Organisation und die Identifikationsgründe mit dieser müssen neugestaltet werden. Covid-19 hat Grenzen verschoben bzw. unklar gemacht: Berufliches und Privates werden einerseits stärker vermengt, wie die zahlreichen (arbeits-)rechtlichen Fragen zeigen. Andererseits können MitarbeiterInnen durch das Remote-Arbeiten leichter einer Organisation entgleiten bzw. nimmt deren Identifikation ab. Wozu braucht es noch die Organisation? Mag als Frage im Home-Office leicht entstehen. Umgekehrt wird auch der Eintritt in die Organisation, das Onboarding neuer MitarbeiterInnen schwieriger.
    Organisationen müssen daher stärker auf die Gestaltung ihrer „Außengrenzen achten und ihren spezifischen Mehrwert herausarbeiten, andernfalls riskieren sie zu bloßen Netzwerken von Freelancern zu verkümmern.
  10. Der Wert und Nutzen des Büros müssen überdacht werden. Viele Unternehmen planen derzeit die Reduktion von Büroflächen aus Kostengründen. Aber ist dies nicht einseitig? Wozu können und sollten wir die Büros in Zukunft nutzen, gerade um die Organisation weiterzuentwickeln? Dies sind die Fragen, die sich für Georg Kopetz stellen.
    Büros müssen weiterentwickelt werden: von Orten für Routinearbeiten stärker hin zu Orten der sozialen Begegnung, Gemeinschaftspflege, Reflexion, Debatte und des Ringens um schwierige Entscheidungen.

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