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„I Care a Lot“: Eine elegante Menschenhändlerin

I Care A Lot
I Care A LotSeacia Pavao / Netflix
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In der provokativen Krimi-Komödie spielt Rosamund Pike eine scheinheilige Sachwalterin, die sich an ihren „Kunden“ bereichert. Wie poppig darf man Menschenfeindlichkeit inszenieren?

Es beginnt mit einem pessimistischen Monolog: Der Mensch ist schlecht, sagt eine Frauenstimme. Das Gute bleibt unbelohnt. Wir werden ausgebeutet und bleiben sterblich. Deshalb muss man sich entscheiden: Will man lieber gut sein und arm bleiben oder böse sein und reich werden? Immerhin lebt man nur einmal.

Es ist die zynischste Art von Menschenfeindlichkeit, die aus den ersten Sätzen des jüngsten Netflix-Thrillers „I Care a Lot“ spricht. Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf, lautet die Devise. Dadurch lässt sich gesellschaftliches Engagement leicht als Energieverschwendung von naiven Gutmenschen belächeln und Scheinheiligkeit als profitables Geschäftsmodell entdecken. Zumindest in der Logik, nach der die nihilistische Antiheldin in „I Care a Lot“ ihren Lebensunterhalt bestreitet – und die Nebenfiguren nicht minder.

„Ich hoffe, du wirst vergewaltigt!“

Obwohl die vom Streamingdienst aufgekaufte Produktion von einem Briten stammt, verströmt sie den toxischen Zeitgeist der eben erst zu Ende gegangenen Trump-Ära. Marla Grayson (Rosamund Pike, bekannt aus „Gone Girl“), eine Betreuerin für alleinstehende Senioren, gibt bei juristischen Verfahren vor, ihre Klienten aus den Klauen rückschrittlicher Rednecks zu befreien. Die elegante Dame im feinen Kostüm, die sich gleich zu Anfang mit einem bärtigen Schirmmützen-Träger duelliert, dessen räudige Erscheinung an die Fan-Gemeinde des letzten US-Präsidenten denken lässt, entzieht dem Kapitol-Stürmer in spe die Vormundschaft über seine Mutter. „Ich hoffe, du wirst vergewaltigt“, lautet die Drohung des Deplorablen, nachdem er ihr ins Gesicht gespuckt hat. Was er in seinem Zorn verkennt: Die Gegenspielerin befolgt dasselbe Trump-Motto, aber aus der konträren Perspektive: Niemals verlieren und immer der Stärkere bleiben!

Die Retterin mutmaßlich vernachlässigter Rentner erweist sich in weiterer Folge als abgebrühte Unternehmerin mit perfidem Geschäftsmodell. Eine Ärztin versorgt sie mit sensiblen Patientendaten. Wenn sich die Angehörigen leicht beiseiteschaffen lassen, schlägt sie zu. Beim Richter hat sie längst einen Stein im Brett. Ein kurzes Behörden-Hickhack später ist ihr die Macht über das weitere Schicksal und die wertvollen Immobilien ihrer Opfer sicher. Mit dem Leiter des Pflegeheims, in das die Ahnungslosen gesteckt werden, hat sie ebenfalls einen Deal: Sie diktiert ihm die Dosierung benebelnder Psychopharmaka, wenn sie aufmucken. Er profitiert von neuer Kundschaft, die sich an die drakonische Hausordnung hält.

Das System, das J Blakeson (bekannt geworden durch sein Endzeit-Spektakel „Die 5. Welle“) hier konstruiert, gleicht dem in Noir-Thrillern über paranoide Verschwörungen. Aber leider fehlt dem Regisseur und Drehbuchautor die Haltung eines Martin Scorsese, der seine aus ähnlichen Dunstkreisen stammenden Antihelden zumindest mit metaphysischen Zweifeln ausstattete. Oder die eines Steven Soderbergh, der bestehendes Unrecht in institutionellen Strukturen durch seinen kritisch-analytischen Blick stets plastisch, aber selten poppig (außer es ging um Casino-Caper) in Szene setzte.

Da ist sie an die falsche Seniorin geraten

Die Haupthandlung kreist um eine neue Beute der Menschenhändlerin – eine Pensionistin, deren legales Kidnapping einen wendungsreichen Plot in Gang setzt. Jennifer Peterson (Dianne Wiest, die frühere Stammschauspielerin von Woody Allen) bereitet sich gerade einen Tee zu, als sie wie der unschuldige Prokurist in Kafkas „Prozess“ aus heiterem Himmel quasi verhaftet wird. Marla hat zuvor die staatliche Erlaubnis für den Überfall auf die robuste Hausbesitzerin eingeholt, bei der es sich jedoch um die Mutter eines mächtigen Mannes (Peter Dinklage aus „Game of Thrones“) mit einträglichen Kontakten zur Ober- und Unterwelt handelt.

Als reines Spannungskino funktioniert das alles gut. Auch die Parabelhaftigkeit des konfliktreichen Zusammentreffens heutiger US-Mentalitäten ist im Ansatz bestechend – gibt den Ernst der Lage aber immer zu früh der polemischen Überzeichnung preis. Man will kein Spielverderber sein, aber mehr Verfremdung hätte der provokativen Krimi-Komödie (moralisch) gutgetan.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.02.2021)

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