Männerforscher: "Justiz ist nicht väterfeindlich"

Maennerforscher Justiz nicht vaeterfeindlich
Maennerforscher Justiz nicht vaeterfeindlich(c) EPA
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Männerforscher Erich Lehner erklärt im DiePresse.com-Interview, warum er gegen die automatische gemeinsame Obsorge ist, wie man Männer zur Karenz bewegen kann und warum wir keinen Männerminister brauchen.

DiePresse.com: Väterrechtler klagen immer wieder, dass sie nach der Scheidung benachteiligt werden. Ist die österreichische Justiz tendenziell väterfeindlich?

Erich Lehner: Das würde ich nicht sagen. Wir hatten von der männerpolitischen Grundsatzabteilung eine Studie über die Situation von geschiedenen Vätern. Sie hat im Grunde gezeigt, dass es natürlich bemitleidenswerte Einzelfälle gibt, aber man nicht generell sagen kann, dass geschiedene Männer benachteiligt werden. Die österreichische Justiz ist nicht väterfeindlich, sondern sie ist eingebaut in eine Familienkultur, die geprägt ist durch die Familienernährer-Hausfrauen-Ehe.

Dann ist es also Ihrer Meinung nach berechtigt, dass die Mutter in der Frage der Kinder mehr Mitsprache hat?

Lehner:  Würde ich sagen, ja. Die automatische gemeinsame Obsorge entspricht nicht der österreichischen Realität. Deshalb bin ich auch ein Gegner davon.

Unverheiratete Väter haben kaum eine Chance, gegen den Willen der Mutter ihre Kinder zu sehen. Das ist doch nicht fair.

Lehner:  Grundsätzlich sollen Väter, auch nicht verheiratete Väter, Zugang zum Kind haben. Da muss man Regelungen treffen, indem man etwa besser berücksichtigt, wenn ein Mann in Karenz war. Das übersehen viele Richter. Man darf allerdings auch nicht die Augen davor verschließen, dass es bei allem Engagement nicht der Regelfall ist, dass der Vater von Anfang an bei seinem Kind bleibt.

Dieser Tage nimmt die AG zum Familienrecht ihre Arbeit auf. Was würden Sie sich wünschen, dass an Reformen herauskommt?

Lehner:  Was ich mir wünschen würde ist, dass das Thema massiv in so etwas wie eine Männerpolitik eingebunden wird. In Maßnahmen, die die Vaterschaft unterstützen und zwar während der Beziehung. Wir haben ja das Problem der Obsorge nur deshalb, weil wir in den bestehenden Beziehungen so wahnsinnig patriarchal leben. Ich glaube, das ist das Problem, das permanent übersehen wird.

Wo müsste man denn ansetzen?

Lehner:  Der Punkt ist der: Wir haben in den letzten 20 Jahren viel für die Integration der Frau in den Arbeitsmarkt getan, wir haben aber absolut nichts gemacht, um Männer in die Familie zu integrieren. Da müsste man massiv ansetzen, indem man sie etwa verpflichtend Karenzzeiten ausüben lässt, verpflichtend Teilzeitarbeit nachgehen lässt zugunsten von Kinderbetreuung. Die Väterbewegung fordert immer das Recht der Kinder auf zwei Eltern. Das unterstütze ich zu hundert Prozent – aber am Beginn einer Beziehung. Ich würde die Väterrechtsbewegung sofort unterstützen, wenn die sagen: Wir gehen dafür auf die Straße, dass Männer in Karenz gehen, Männer auf Teilzeit gehen. Denn wenn wir diese Kultur verändert haben, dann wäre die automatische Obsorge kein Problem.

Was für eine Art Männerpolitik würden Sie sich wünschen?

Lehner:  Eine Politik, die darauf aus ist, dass man Väter unterstützt, Berufsarbeit zu reduzieren und in der Familie präsent zu sein. Was jedoch in Österreich auch ganz notwendig ist, dass auch das Männerbild diskutiert wird: einerseits müsste das einseitig-hierarchische, tendenziell gewaltfördernde Männerbild, das in Österreich dominiert problematisiert werden. Andererseits sollte von PolitikerInnen und opinion leader klar  gesagt werden: Wir wollen eine andere Männlichkeit, die viel stärker an Pflege und sozialen Beziehungen orieniert ist. Vorbild ist Schweden, wo Premier Olof Palme 1973 gesagt hat, wir wollen, dass Männer pflegen. Gleichzeitig muss man das mit strukturellen Maßnahmen unterstützen. Mein Vorschlag wäre, dass man die Karenz ganz teilt: Die Hälfte für die Frauen, die Hälfte für den Mann, nach dem schwedischen Modell "Use it or lose it".

Derzeit gehen nur vier Prozent der Väter in Karenz, immer wieder gibt es Berichte, dass diese dann von Mobbing betrofffen sind. Ist es berechtigt, dass Väter so karenzscheu sind?

Lehner:  Die Mobbingfälle sind statistisch gesehen bestimmt Extremfälle. Stärker ist die große Angst von Männern, dass sie in der Karriere nicht weiterkommen, wenn sie in Karenz gehen. Genau da müsste ein Unternehmen ansetzen und sagen: Bei uns ist das nicht so, wir wollen das aktiv unterstützen.

Wie kann das funktionieren?

Lehner:  Ein wichtiger Punkt ist Karenzmanagement. Wir haben alle so die Vorstellung, Karenz heißt, dass die betroffene Person sich verarbschiedet und zwei, drei Jahren später wieder kommt. Das müsste man verändern. Das Unternehmen und die betroffene Person sollten sich von Anfang an zusammensetzen und sagen: Wie sieht es mit Familienplanung aus? Wenn die Person auf Karenz geht: Wann geht sie, welchen Kontakt hält sie in der Zwischenzeit mit dem Unternehmen, welchen Einstieg gibt es wieder? Und natürlich: Wie lange dauert die Karenz? Drei Jahre, das wird vermutlich eine zu lange Zeit für ein Unternehmen sein. Aber wenn man davon ausgeht, dass jeder Elternteil ein halbes Jahr geht, dann sind das überschaubare Zeiten. Das muss man natürlich durch eine gesetzliche Maßnahme unterstützen. Denn, wenn der Gesetzgeber sagt, wir wollen, dass die Hälfte der Karenz für den Vater ist, dann kann kein Chef sagen, du darfst nicht. Und selbstverständlich braucht man einen Ausbau der öffentlichen Kinderbetreuung.

Sie haben vorhin die Männerpolitik angesprochen: Was denken Sie, brauchen wir einen Männerminister?

Lehner:  Nein. Ein Männerminister würde eine Gleichheit der Geschlechter vorspiegeln, die es nicht gibt. Was wir aber sehr wohl bräuchten ist, dass wir die Frauenministerin in eine Gleichstellungsministerin umwandeln, die sowohl die Frauenagenden als auch die Männeragenden leitet und die innerhalb dieses Ministeriums eine Abteilung aufbaut, die eine Männerpolitik von Männern getragen an Männer heranträgt.

Sie sagen Ministerin: Das sollte eine Frau sein?

Lehner:  Selbstverständlich. Eine Männerpolitik muss von Männern getragen sein, aber immer in Kontakt zu Frauen, damit die Partnerschaftlichkeit, aber auch die Kontrolle, gewährleistet sind. Und soll auf jeden Fall in die Agenden einer Ministerin kommen.

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