Literatur

Wenn die Gondeln Trauer tragen

Venedig, eine der faszinierendsten Städte der Welt.
Venedig, eine der faszinierendsten Städte der Welt.(c) Imago
  • Drucken

Gerhard Roths dritter Venedig-Roman „Es gibt keinen böseren Engel als die Liebe“ punktet vor allem mit Atmosphäre.

Die Erwartungen sind groß: Gerhard Roth schreibt über Venedig, noch dazu mit Spannungselementen. Diese Kombination verspricht ein literarisches Gustostückerl: ein großartiger Schriftsteller und noch dazu profunder Venedig-Kenner, eine der faszinierendsten Städte der Welt und das eine oder andere Geheimnis. Nicht alle diese Erwartungen werden erfüllt: Volle Punktezahl gibt es für Atmosphäre. Dass die Handlung sich dieser unterordnen muss, ist etwas unbefriedigend.

Man wurde allerdings gewarnt. Denn noch bevor Roth sein Publikum auf der ersten Seite ansatzlos in die Handlung hineinstößt, zitiert er Gertrude Stein: „Es gibt keine Antwort. Es wird keine Antwort geben. Es hat nie eine Antwort gegeben. Das ist die Antwort.“ Diesen Leitspruch sollte man in Erinnerung behalten. Liebhaber logischer Geschichten kommen hier nicht auf ihre Kosten.

Die Kunsthistorikerin Lili Kuck reist nach Venedig, um dem mysteriösen Unfalltod ihres Mannes Klemens, eines Comic- und Graphic-Novel-Verfassers auf den Grund zu gehen. Klemens war ihr gegenüber offenbar etwas ökonomisch mit der Wahrheit über seinen Aufenthalt in der Lagunenstadt und tatsächlich seinem leiblichen Vater, dem in Ungnade gefallenen Polizisten Francesco Galli, auf der Spur. Bald muss Lili sich fragen, was Vater und Sohn mit einer Serie von grausamen Polizisten-Morden zu tun haben, die sich plötzlich auch in Lilis Nähe ereignen.

Träumerisch, unwirklich, verwirrend, geheimnisvoll

Dasselbe Misstrauen prägt auch ihr Verhältnis zu den anderen Personen, die in ihrem Umfeld auftauchen: etwa zum Zauberer Aldrian und dem Übersetzer Lanz; zu dem Möbelhändler Alberti und seiner Tochter Nicole; oder zu dem gesichtslosen, geheimnisumwitterten Milliardär Blanc, der Lili immer wieder nahe kommen will. Bald kommt sie zu dem Schluss, „dass die Rätselhaftigkeit die einzige wahre Gewissheit auf Erden ist“.

Auch der Leser wird nolens volens zu dieser Erkenntnis gezwungen. „Es gibt keinen böseren Engel als die Liebe“ liest sich wie ein Buch über venezianische Schauplätze, über die der Autor sehr viel weiß, die ihm am Herzen liegen und die er mit Handlungsfäden verbunden hat. Zwischen diesen irrt Lili umher – auf der Suche nach den Todesumständen ihres Mannes und, wie Millionen Touristen vor und nach ihr, beseelt von dem Gedanken, das „echte“, das „ursprüngliche“ Venedig zu finden.

Atmosphärisch wird Gerhard Roth mit seinem nach „„Die Irrfahrt des Michael Aldrian“ und „Die Hölle ist leer — die Teufel sind alle hier“ dritten Venedig-Roman der ganz besonderen Stimmung Venedigs gerecht: träumerisch, unwirklich, verwirrend, geheimnisvoll. Darauf, und nicht unbedingt auf die Handlung, muss man sich einlassen. Dann wird man auch dieses Buch genießen können – und sich dabei auf die nächste Venedig-Reise freuen.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.