"France-Soir": "Bild"-Zeitung à la française?

(c) AP (FRANCOIS MORI)
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Die Pariser Tageszeitung "France-Soir" hat ihre Auflage vervierfacht. Das Rezept dieses Erfolgs: Billig ist nicht nur der Preis von 50 Cents, sondern auch der Inhalt. Skandale und Verbrechen kommen groß heraus.

Das Einzige, was in Frankreich bisher im Zeitungsgeschäft noch nicht versucht wurde, war ein Boulevardblatt im Stil von „Bild“ oder „The Sun“. Diese „Marktlücke“ soll nun die traditionsreiche Tageszeitung „France-Soir“ schließen. „Alles, nur das nicht!“, protestieren seit Ende August die Mitglieder der Redaktion, die um ihr Renommee als seriöse Journalisten bangen. Der neue Besitzer hat Chefredakteur Christian de Villeneuve abgesetzt. Es ist bereits der dritte Wechsel, seitdem die russische Oligarchenfamilie Pugatschew die vom Bankrott bedrohte Zeitung Anfang 2009 übernommen hat. Vor allem aber ist der neue Chef, Rémy Dessarts, in Sachen Boulevard ziemlich vorbelastet. Er sollte im Auftrag der deutschen Springer-Gruppe bereits ab 2006 den Boden für eine französische Zeitung nach dem Vorbild von „Bild“ vorbereiten. Schließlich verzichtete Springer mangels genügender Verkaufsstellen – ein notorisches Problem für den Vertrieb der Tageszeitungen in Frankreich – auf das Vorhaben. Die Idee aber geistert seither weiter durch den Blätterwald und ängstigt die Redaktionen.


Besuch beim "Daily Mirror".
Der erst 25-jährige Eigentümer, Alexander Pugatschew, wollte seine Redakteure und die durch Dessarts' Nominierung aufgeschreckte Branche beruhigen: Er verstehe die Aufregung nach dem abrupten Abgang von de Villeneuve. „Keinesfalls möchte ich ,France-Soir‘ in eine populistische Trash-Zeitung oder in eine französische ,Bild‘-Zeitung verwandeln“, versprach er. Diese Zusicherung tönte aber nicht besonders überzeugend, weil er gleichzeitig einräumte, er habe kürzlich die „Bild“-Redaktion und den „Daily Mirror“ besucht und wolle sich auch in Österreich (bei der „Kronen Zeitung“?) umsehen.

Was ist bei solchen Vorbildern zu erwarten? Holger Wiemann, ein ehemaliger Manager von Gruner+Jahr, der Pugatschew als Berater zur Seite steht, hat da klare Vorstellungen: Die neue Version von „France-Soir“ werde inhaltlich irgendwo zwischen „Bild“ und „Daily Mirror“ angesiedelt sein, aber mit einem eleganteren Layout ausgestattet, verriet er in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Allzu große Skrupel hat der Juniorverleger Pugatschew nicht: „Wenn ich, um Geld zu verdienen, eine Trash-Zeitung machen muss, dann mache ich eben Trash“, hatte er früher freimütig gesagt. Diese im Nachhinein wie eine Devise klingende Bemerkung wird noch lange zitiert werden. Die Frage ist also nur, wie tief das Niveau sinken darf oder soll.

Mit einer Tageszeitung heutzutage reich werden zu wollen mutet wie ein verwegenes Unterfangen an. Vor Pugatschew hatten andere vergeblich versucht, aus den kläglichen Resten dieses Traditionsblattes etwas zu machen. Bisher aber hat sich der von Pugatschew eingeschlagene Kurs bewährt. Bei der Ankunft der neuen Eigentümer aus Moskau war „France-Soir“ auf jämmerliche 25.000 Exemplare abgesunken. Seither hat sich die verkaufte Auflage vervierfacht! Natürlich ist „France-Soir“ damit noch um Lichtjahre von den goldenen Anfangsjahren nach dem Zweiten Weltkrieg entfernt, als unter dem legendären Gründer Pierre Lazareff mehrere Ausgaben pro Tag produziert und bis zu einer Million Zeitungen verkauft wurden.

Die Wiederauferstehung seit Anfang 1010 grenzt angesichts der Existenzprobleme, mit der in Frankreich die Tagespresse kämpft, schon fast an ein Wunder! Die Erklärung liegt einerseits in einem billigen Verkaufspreis von 50 Cents und einer Werbekampagne, in die mehr als sechs Millionen Euro gesteckt wurden. „France-Soir“ kostet damit am Kiosk gerade ein Drittel der 1,50 Euro, die man für die Wirtschaftszeitung „Les Echos“ zahlt, und die Hälfte des direkten Konkurrenten „Le Parisien“. Auch inhaltlich wurden neue Prioritäten gesetzt: Skandale, Verbrechen und Leidensgeschichten der Prominenz kommen groß heraus. Politisch steht „France-Soir“ der konservativen Staatsführung nahe.

Spekuliert wird in Paris nicht zuletzt über die eigentlichen Motive des russischen Milliardärs Sergej Pugatschew, der seinem im Mediengeschäft unerfahrenen Sohn überraschend diese französische Zeitung gekauft hat. Rechtlich war die Übernahme möglich, weil der ehrgeizige Spross des Oligarchen die französische Staatsbürgerschaft besitzt. Vater Pugatschew ist ein langjähriger Freund von Wladimir Putin. Ihm gehören in Frankreich auch die Delikatessenläden Hédiard und in Russland die Werften von St.Petersburg, in denen laut einem Milliardenvertrag zwischen Moskau und Paris französische Mistral-Kriegsschiffe gebaut werden. Dass die Rettung einer Pariser Zeitung womöglich ein hilfreicher Nebenaspekt dieses Rüstungsgeschäfts war, wird bestimmt nicht in der „France-Soir“ zu lesen sein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.09.2010)

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