Molekularbiologie

Schnappschüsse vom „Stargate“ der Bakterien

(c) CSSB (Thomas C. Marlovits)
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An schockgefrorenen Zellen zeigte sich, wie Proteine im Nadelkomplex von Salmonellen durch kleine Verschiebungen große Veränderung bewirken. Das Wissen um den Eintritt der Bakteriengifte kann nun für die Entwicklung neuer Therapien genutzt werden.

Während sich derzeit das Leben vieler Menschen darum dreht, wann sie geimpft werden, fokussiert ein großes Wissenschaftlerteam auch auf die Frage, wie Krankheitserreger abseits von Corona ihre „Impfungen“ durchführen. Gram-negative Bakterien, zu denen Salmonellen und der Pesterreger Yersinia gehören, verwenden bei der Eroberung ihrer Wirtszellen ein „Injektisom“, das wie eine spitze Nadel an die Zellmembran andockt. So wie eine Impfung ein Medikament unter unsere Haut injiziert, das unser Immunsystem ankurbelt, bringen Bakterien über den Nadelkomplex der Injektisome ihre Proteine in unsere Körperzellen, die dort Veränderungen anstoßen.

„Das Bakterium programmiert die Wirtszelle so um, dass sie den Krankheitserreger aufnimmt und der Infektionszyklus weitergeht“, erklärt Thomas Marlovits vom Vienna Biocenter. Der Molekularbiologe hat in den 2000er-Jahren das erste Kryo-Elektronenmikroskop in Österreich etabliert, mit dem man schockgefrorene Gewebe in höchster Auflösung untersuchen kann. Dieses Kryo-EM in den „Scientific Facilities“ des Instituts für Molekulare Pathologie (IMP) und Instituts für Molekulare Biotechnologie (IMBA) der Akademie der Wissenschaften hat nun erste Bilder für die jüngste Entdeckung geliefert. Die endgültigen Analysen gelangen am Center for Structural Systems Biology (CSSB) in Hamburg, wo Marlovits seit 2018 Departmentsleiter ist: Erstmals wurde das „Tor“ sichtbar, das sich in der Nadelspitze öffnen muss, um die bakteriellen Proteine in das Innere der Wirtszellen zu befördern (Nature Communications, 9. 3.).

„Architektonisch wunderbar“

Marlovits kommt bei der Erklärung ins Schwärmen: „Architektonisch ist so ein Injektisom ja wunderbar. Es besteht aus mehr als 200 Proteinen, die koordiniert zusammenarbeiten. Wir konnten zeigen, dass minimale Verschiebungen in der Architektur zu einer Öffnung führen, die genau so groß ist, dass die bakteriellen Gifte eingeschleust werden. Kennen Sie ,Stargate‘?“

Auf das unwissende Kopfschütteln erklärt der Forscher, dass sich in der Science-Fiction-Serie das Stargate-Tor wie eine Iris öffnet: Kleine Verschiebungen bewirken eine große Veränderung. Vergrößert man diese Öffnung im Injektisom experimentell, leidet das Bakterium, da die offene Pore wie eine Wunde auch andere Substanzen austreten lässt.

Das Team aus Wien und Hamburg nutzte einige Tricks in den Experimenten, um die spektakulären Bilder der Protein-Injektion zustande zu bringen. Da die Proben im Kryo-EM schockgefroren sind, gibt es keine bewegten Aufnahmen von molekularen Vorgängen „in Action“.

Aber die Forscher wussten, dass die zuvor verknäuelten Proteinketten für den Durchtritt im engen Nadelkomplex aufgedröselt werden. „Wir haben das Protein, das eingeschleust wird, gentechnisch verlängert, damit der Durchtritt länger dauert. Außerdem haben wir an das hintere Ende eine Proteinsequenz gehängt, die nicht aufgedröselt werden kann, sondern ein Knäuel bleibt“, sagt Marlovits. Genauso wie man beim Nähen durch einen Knoten den Faden im Stoff hält, blockierten die Wissenschaftler so die Freigabe der Bakterienproteine ins Zellinnere und schafften die Schnappschüsse in voller Aktion.

„Die Vergleiche zum Injektisom in Ruhe zeigen genau, welche Proteine sich wie drehen, um die Öffnung entstehen zu lassen“, sagt Marlovits. Dieses „atomare Modell des Nadelkomplexes“ (siehe Bild) erhellt nicht nur die Black Box dieses „Typ-III-Sekretionssystems“ der gram-negativen Bakterien, sondern ermöglicht neue Ansätze in der Medizin.

Bakterien als Arzneilieferant

So soll einerseits der „Fluch“ als „Segen“ genutzt werden: Der gleiche Mechanismus, der uns bei Bakterieninfektionen krank macht, kann nämlich therapeutisch verwendet werden, z. B. als Arznei-Injektion in Krebszellen. Im Labor veränderte Bakterien könnten damit gezielt zu erkrankten Zellen reisen und heilende Proteine in diese „hineinimpfen“.

Das Forscherteam hofft, dass die Kenntnis der Einschleuswege andererseits auch Infektion durch Bakterien verhindern kann, was in Zeiten von Antibiotika-Resistenzen immer dringlicher wird.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.04.2021)

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