Gastkommentar

SPÖ: Mehr Einheit wagen

Plakat-Aktion der SPÖ in Wien
Plakat-Aktion der SPÖ in WienAPA/ROBERT JAEGER
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Wenn wir zu unseren Wurzeln zurückkehren, hat die Sozialdemokratie eine große Zukunft. So lange aber die klare gemeinsame Klammer fehlt, werden wir uns immer weiter voneinander entfernen.

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In den Tagen vor dem 1. Mai haben mir viele geschrieben, die SPÖ mache nun wieder einmal das, was sie in den letzten Jahren immer besonders gut gemacht hat: Sie streitet mit sich selbst.

Diesmal ging es halt um das Thema Corona, bei dem sich - nur nebenbei gesagt - die Bundesregierung seit Wochen weigert, ihrer Verantwortung für das Pandemie-Management in Österreich gerecht zu werden.

Vom Bund allein gelassen standen da nun also auf der einen Seite Länder wie Salzburg, Kärnten, Oberösterreich oder das Burgenland. Und auf der anderen Seite vor allem das Land Wien, das als Millionenstadt natürlich ganz eigene Herausforderungen zu bewältigen hat, die mit dem Rest Österreichs nur schwer und fast gar nicht vergleichbar sind.

Trotz all dieser Unterschiede haben aber alle neun Bundesländer, davon bin ich zutiefst überzeugt, natürlich das gleiche Ziel verfolgt: nämlich ihre Bevölkerung möglichst unbeschadet und sicher durch die Pandemie zu bringen und der Bevölkerung Perspektiven zu geben, die sie so dringend braucht.

Warum kann man das aber nicht einfach zur Kenntnis nehmen? Warum muss man sich über die Medien ausrichten, dass man die Vorgehensweise des anderen für falsch hält? Und wem bringt das etwas, außer der den Medien, die damit eine Geschichte haben?

Corona ist ja nicht das erste große Thema, das die SPÖ seit einiger Zeit so entzweit. Nach ganz ähnlichem Muster haben wir das schon in der Migrationsfrage und bei vielen anderen Punkten gesehen.

»In der SPÖ ist es fast unmöglich geworden, gut und ehrlich zu streiten.«

Ein Hauptproblem unserer Bewegung ist: In der SPÖ ist es fast unmöglich geworden, gut und ehrlich zu streiten. Weil viele bei uns in der Partei schlicht nicht mehr wissen wollen, wie die Lebensrealität außerhalb ihrer jeweiligen Blase aussieht. Und wenn sie daran erinnert werden, dass es da noch etwas anderes als ihre Welt gibt, reagieren sie fast reflexhaft mit moralischer Besserwisserei und inhaltsleeren Untergriffen.

Dabei ist es in unserer Geschichte nicht neu, dass es Konkurrenz zwischen verschiedenen Ideen und Vorstellungen gibt. Schon vor dem Einigungsparteitag waren sich die vielfach eher aus dem Bürgertum kommenden Liberalen in den Bildungsvereinen und die organisierten ArbeiterInnen nicht in allem einig. Später gab es etwa im Verband Sozialistischer Mittelschüler nicht wenige, die die etwas proletarischere Sozialistische Jugend für gefährliche Rechtsabweichler hielten. Oder 1967, da setzten die Bundesländer Bruno Kreisky als Bundesvorsitzenden gegen den Willen führender Wiener Funktionäre und wichtiger Gewerkschaften durch. Aber immer war man sich nach den Auseinandersetzungen einig, dass die Sache nun entschieden sei und dass man nun wieder geschlossen auftreten müsse.

Diese positive Streitkultur ist uns in den letzten Jahren zunehmend abhandengekommen. Ja, es gibt heute sogar Mitglieder in unserer Partei, die sind gar nicht mehr daran interessiert, dass Auseinandersetzungen überhaupt mit einem Ergebnis enden. Sondern sie ziehen sich auf ihre Standpunkte zurück und halten an diesen kompromisslos fest.

Das geht so weit, dass manche Genossinnen und Genossen offen sagen, dass sie mit der SPÖ lieber dauerhaft zu einer 15-bis-25-Prozent-Partei werden, bevor sie Zugeständnisse an die Lebensrealitäten außerhalb ihrer Blase machen. Dass wir damit das Land unnötig polarisieren, nie wieder die Bundeskanzlerin oder den Bundeskanzler stellen und damit Österreich führend gestalten werden, das ist ihnen offenbar nicht so wichtig. Hauptsache, sie bleiben von Gedanken und Meinungen verschont, mit denen sie sich in ihrer Welt unwohl fühlen.

Max Lercher
Max LercherDie Presse (Clemens Fabry)

Der Autor

Max Lercher (* 1986) war von 2017 bis 2018 Bundesgeschäftsführer der SPÖ. Seit Oktober 2019 ist er Abgeordneter im Nationalrat, davor gehörte er dem Landtag in der Steiermark an.


Versteht mich nicht falsch, in einer Partei müssen sich nicht alle mögen. Es gehört zur ganz normalen Verlogenheit, oder, sagen wir, Unehrlichkeit in der Politik, dass das immer wieder behauptet und gefordert wird. Ja, man muss sich nicht schmecken. Aber man sollte sich einig sein, dass man gemeinsame Ziele hat.

Nicht einmal das gestehen in der SPÖ aber die einen den anderen – beispielsweise bei Corona – noch zu. Sondern stattdessen stehen sich unterschiedliche Positionen immer unversöhnlicher gegenüber, ohne je entschieden zu werden.

Dass wir uns in der SPÖ heute in so vielen Fragen nicht mehr einig werden, hat vor allem damit zu tun, dass eine wichtige Hauptfrage unbeantwortet ist. Diese Hauptfrage schwebt über allen anderen Dingen. Nämlich die Frage, ob die Sozialdemokratie eine Volkspartei sein will, oder nicht? Ob die SPÖ nur noch für die urbanen Innenbezirke da sein soll, oder für das ganze Land? Solange diese entscheidende Frage nicht beantwortet ist, werden wir auch auf die vielen anderen offenen Fragen keine Antwort finden.

Und ja, mir ist klar, man kann diese Hauptfrage ganz unterschiedlich beantworten. Auch so, wie es mir nicht gefallen würde. Meine persönliche Antwort wird aber wohl nicht überraschen: Wir brauchen eine SPÖ, die für das ganze Land da ist und die bei jeder Wahl, bei der sie antritt, den Führungsanspruch stellen kann.

»Die wirtschaftspolitische Erzählung der SPÖ ist die Klammer, die vom urbanen bis in den ländlichen Raum große Teile der Bevölkerung erreichen kann.«

Dafür gibt es aus meiner Sicht nur einen Weg. Die wirtschaftspolitische Erzählung der SPÖ ist die Klammer, die vom urbanen bis in den ländlichen Raum große Teile der Bevölkerung erreichen kann.

Seit Jahrzehnten steigt der Druck auf die arbeitende Bevölkerung, während wenige einen solchen exzessiven Reichtum anhäufen, dass dieser Unterschied unsere Gesellschaft zerreißt. Wenn wir dieser Tage lesen, dass bei Audi die Bänder stillstehen, weil wichtige Komponenten in solch erheblichem Ausmaß für das sogenannte Mining von Kryptowährungen – also das Erzeugen virtueller Währungen – benötigt werden, dann merken wir doch alle, dass unser System schwer krank ist. Ein tägliches Fest des Reichtums an den Börsen, das mit der Lebensrealität der Menschen nichts zu tun hat.

Ein System, das immer mehr Wohlstand schafft und den Großteil der Bevölkerung nicht mehr beteiligt, ist zum Scheitern verurteilt. Hier einzugreifen und einen Systemwandel laut und kompromisslos durchzusetzen, das ist die historische Aufgabe der Sozialdemokratie. Das ist auch die Voraussetzung, um gesellschaftspolitischen Fortschritt zu erzielen. Denn reine Gesellschaftspolitik war und wird nie mehrheitsfähig sein. 

Wenn wir zu unseren Wurzeln zurückkehren und wieder mit aller Kraft für diesen Wandel eintreten, dann hat die Sozialdemokratie eine große Zukunft. Dann wird sie zwar in Lehen oder Leoben immer noch anders reden als in Neubau oder Jakomini, aber das liegt in der Natur der Sache und sollte nichts sein, was uns in der Nacht den Schlaf raubt. So lange aber die klare gemeinsame Klammer fehlt, werden wir uns immer weiter voneinander entfernen.

Die Einheit der Sozialdemokratie entsteht aus meiner Sicht nur über den gemeinsamen Willen in der Partei, eine große Volkspartei sein zu wollen. Ein Wille, der größer sein muss als der kleinteilige Streit, den wir aktuell viel zu oft erleben.

E-Mails: debatte@diepresse.com

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