Naturschutz

Juchtenkäfer: Ein Klimawandel-Profiteur verliert seinen Lebensraum

Der Juchtenkäfer ist vier Zentimeter groß und wohnt versteckt in Baumhöhlen.
Der Juchtenkäfer ist vier Zentimeter groß und wohnt versteckt in Baumhöhlen.T. Frieß/Ökoteam
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Zigtausende Bäume in der Steiermark wurden begutachtet, aber erst in 92 davon wurde das Vorkommen des Juchtenkäfers bestätigt. Das Team setzt auch Spürhunde ein, um den Kot der großen Larven zu finden, die sich in Höhlen von alten Streuobstbäumen wohlfühlen.

Der große schwarze Käfer ist oft in den Nachrichten, obwohl ihn kaum je wer zu Gesicht bekommt: Der seltene Juchtenkäfer stoppte nicht nur vorübergehend das Bahnprojekt Stuttgart 21, sondern auch 2016 den Bau eines Reha-Zentrums in Wien Hietzing. Gesteigerte Aufmerksamkeit hat diese Insektenart schon viel früher bekommen, in Österreich ab dem Beitritt zur EU. Denn in einem Anhang der EU-Naturschutzrichtlinie wird der Juchtenkäfer mit etlichen anderen Tierarten explizit als streng geschützt deklariert und seither bei artenschutzrechtlichen Verfahren beachtet. Für größere umweltrelevante Vorhaben wie neue Autobahnprojekte oder Golfplatz-Planungen gilt der Juchtenkäfer nun als „Schutzgut“. „Durch diese plötzliche juristische Bedeutung hat sich auch die Wissenschaft auf die Käfer konzentriert, und es kam zu neuen Funden“, erklärt Thomas Frieß von Ökoteam (Institut für Tierökologie und Naturraumplanung), das auf Naturschutzgutachten und Umweltverträglichkeitsprüfungen spezialisiert ist.

Man weiß schon einiges über die bis zu vier Zentimeter riesigen Käfer, die sich aus acht Zentimeter langen Engerlingen (Larven) entwickeln: Sie leben in Höhlen alter Bäume, ernähren sich aus der Baumerde, wie die feinkörnigen Holzreste heißen, wenn Baumteile von innen her absterben, und sind weder Nützling noch Schädling. Wo sich Juchtenkäfer wohlfühlen, bleiben sie über Generationen und kommen kaum heraus aus der Höhle. „Er ist auserkoren als Leitart für die Lebensgemeinschaft alter Streuobstbestände: In solchen hohlen Bäumen kommen etwa 100 Insektenarten vor“, sagt Frieß, der das Artenschutzprojekt Juchtenkäfer Steiermark (juchtenkaefer.at) leitet, das von der EU, dem Land Steiermark und dem Landwirtschaftsministerium finanziert wird und in der Österreichischen Entomologischen Gesellschaft angesiedelt ist.

Auch in Parkanlagen und Schlossgärten

„Der Käfer ist stark gefährdet und in Teilen der Steiermark bereits ausgestorben, weil dieser Lebensraum immer seltener wird“, sagt Frieß. Jahrzehntelang wurden Rodungen alter Streuobstgärten gefördert, ohne dass neue Obstbäume gesetzt wurden. „Diese Lücke wird das Vorkommen der Juchtenkäfer noch weiter bedrohen“, sagt Frieß. Als weiteren Lebensraum nutzt die zu den Rosenkäfern gehörende Art auch Schlossgärten und Parkanlagen. Also alles, „wo Bäume richtig alt werden dürfen. Im Wald wird Holz meist jünger geerntet“, sagt Frieß. Die Insekten sind wärmeliebend, wären also prädestiniert, um vom Klimawandel zu profitieren und sich in nördlichere Gebiete auszubreiten. „Aber wie kommen sie dort hin? Die Käfer können nur wenig fliegen, sind kaum mobil. Und wenn sie es doch schaffen, fehlt dort der Lebensraum“, erklärt der Biologe.

Im Team des Naturschutzprojekts ist auch die Biologin Gabriele Sauseng, die Spürhunde ausbildet. Einige davon wurden nun auf den Geruch des Juchtenkäfers trainiert bzw. auf den des Kots der Larven. „Die Larven fressen den ganzen Tag diese Baumerde und geben Kotpillen ab, die literweise im Baum lagern und auch durch Ritzen und die Rinde entlang hinunterfallen“, sagt Frieß. Erfahrene Insektenkundler erkennen an den Kotpillen am Fuß der alten Bäume bereits das Vorkommen von Juchtenkäfern, denn die Form der Kotpillen ist artspezifisch. Die Spürhunde helfen nun, die Suche zu beschleunigen und in einem alten Baumbestand die wenigen Exemplare zu finden, in denen Juchtenkäfer ihr Zuhause haben.

Im Sausal findet man noch Exemplare

„Wir suchen nach Landwirten in bestimmten Regionen der Steiermark, die an Naturschutz interessiert sind: Wer alte Streuobstwiesen hat, kann sich bei uns melden. In Zigtausend untersuchten Bäumen haben wir aber erst 92 Stück gefunden, in denen Juchtenkäfer leben“, sagt Frieß. Die Streuobstgartenbesitzer bekommen für jeden von Juchtenkäfern bewohnten Baum eine Prämie von 200 Euro vom Land Steiermark: Dafür muss der Baum zehn Jahre erhalten bleiben. „In weiten Teilen finden wir gar keine Juchtenkäfer mehr. Am ehesten noch im Naturpark Südsteiermark, im Sausal rund um den Demmerkogel, wo es weniger intensive Landwirtschaft gibt“, sagt Frieß.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.05.2021)

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