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Niedrigenergiehaus aus dem 3-D-Drucker

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Material- und Energieverbrauch beim Bauen soll reduziert werden. Kann der 3-D-Druck eine plausible Antwort auf die Frage nach einer nachhaltigeren Bauwirtschaft geben?

Schauplatz Westerlo, eine kleine belgische Gemeinde in der Region Flandern, Gelände des Zentrums für Nachhaltigkeit und Innovation im Bauwesen, Kamp C. Dem zweigeschossigen, acht Meter hohen Haus mit einer Grundfläche von 90 Quadratmetern, das hier im Vorjahr errichtet wurde, ist auf den ersten Blick nichts Besonderes anzumerken. Fläche, Höhe und Form entsprechen einem durchschnittlichen zeitgenössischen Reihenhaus in der Region. Dass man vor einem Gebäude steht, das möglicherweise die Zukunft des Bauens symbolisiert, offenbart sich mit Blick auf die Konstruktionsweise.

Rohbau in zwei Tagen

„Unser Modellhaus ist Europas erstes Niedrigenergiehaus aus dem 3-D-Drucker. Einzigartig daran ist unter anderem, dass wir die gesamte zweistöckige Gebäudehülle in einem Stück vor Ort gedruckt haben“, erläutert Emiel Ascione, Projektleiter von Kamp C. Zum Einsatz kam der aktuell größte 3-D-Drucker Europas, BOD2 (BOD steht für „Building on Demand“), entwickelt vom dänischen Unternehmen Cobod. Die Maschine funktioniert nach einem additiven Verfahren. Per Extrusionstechnik wird die zementartige Mischung aus einer Düse gedrückt, um die Grundstruktur in Schichten aufzubauen. Der Druckkopf bewegt sich auf einem fest installierten Metallrahmen in allen drei Raumachsen, um an jede Position innerhalb der Konstruktion zu gelangen. Das Material ist während des Drucks flüssig und daher schnell und leicht zu verarbeiten, härtet aber nach dem Austritt aus dem Druckkopf in Sekundenschnelle aus. Für einen Quadratmeter einer doppelschaligen Hohlwand benötigt der BOD2 rund fünf Minuten. Mit seinen maximalen Abmessungen – 15 Meter Breite, zehn Meter Höhe, variable Länge dank Modulaufbau – können Gebäude mit knapp 1000 Quadratmeter Fläche und drei Stockwerken gedruckt werden. Für den Rohbau des Westerlo-Modellbaus benötigte der BOD2 zwei Tage. Arbeiter erledigten danach den Einbau der Fenster und die Dachkonstruktion.

Freiheiten in der Formgebung

3-D-Betondrucker überraschen nicht nur in Sachen Geschwindigkeit. Auch in architektonischer, statischer und ästhetischer Hinsicht ist die Technologie interessant. Für Betonwände ergeben sich neue Gestaltungsmöglichkeiten, die mit herkömmlicher Schalungstechnik kaum realisierbar sind – zum Beispiel runde, geschwungene und komplex-filigrane Formen oder vielfältige Farbeffekte. „Es gibt nicht mehr den limitierenden Punkt, dass es teurer wird, wenn man sich Rundungen im Bau wünscht. Im Betondruck spielt das keine Rolle, die Herstellungskosten sind gleich hoch. Das erlaubt mehr Vielfalt in der Architektur“, erklärt Architekt Waldemar Korte von Mense-Korte Ingenieure + Architekten. Das Planungsbüro ist aktuell in Beckum im nordrhein-westfälischen Münsterland an der Errichtung des ersten Einfamilienhauses Deutschlands aus einem 3-D-Drucker beteiligt.

Die Freiheiten in der Formgebung sind beim Beckum-Projekt das Ergebnis eines innovativen Baustoffs des Projektpartners Heidelbergcement. „Die Entwicklung eines zementgebundenen Materials für den 3-D-Druck ist eine große Herausforderung. Es sollte gut pumpbar und gut extrudierbar sein. Außerdem muss es schnell eine ausreichende Tragfähigkeit ausbilden, damit die unteren Schichten nicht unter der Last der oberen Schichten versagen. Hierbei muss gleichzeitig der Verbund zwischen den Schichten sichergestellt sein“, erläutert Jennifer Scheydt, Leiterin der Abteilung Engineering & Innovation bei Heidelbergcement Deutschland. Mit der Entwicklung des Hightech-Materials „i.tech 3-D“ wurde der traditionelle Baustoff Beton an die Möglichkeiten angepasst, die von der Digitalisierung geboten werden – eine Digitalisierung, die laut Waldemar Korte Architekten vor neue Herausforderungen stellt: „Man kann so ein Gebäude nur komplett dreidimensional planen. Das 3-D-Gebäudemodell, das wir in unserer Zeichnungssoftware entwickeln, muss alle Detailinformationen schon vorab beinhalten, damit die Maschine ein fehlerfreies Ergebnis produziert.“ An der Baustelle selbst ist der Architekt nicht mehr vonnöten. Ausreichend sind vor Ort einige wenige technikaffine und im Umgang mit dem Drucker geschulte Bauarbeiter.

Beton, nachhaltig gedruckt

Was Europas erstes Niedrigenergiehaus in Westerlo betrifft, so punktet es ökologisch mit Fußboden- und Deckenheizungen, Fassadensolarmodulen, einer Wärmepumpe und einem Gründach. Die wahre Nachhaltigkeit ist laut Kamp‑C-Projektmanagerin Marijke Aerts allerdings dem Material und der Drucktechnologie geschuldet: „Die Druckfestigkeit des Materials ist drei Mal höher als die eines herkömmlichen Bauziegels. Somit benötigt es weniger Stahlgitterbewehrung und eine Schalung wird überflüssig. Im Vergleich zu einem normalen Betonbau sind wir mit rund 60 Prozent weniger Material ausgekommen.“

Nachhaltige Argumente für den 3-D-Druck

Kamp C mit Hauptsitz in Antwerpen hat auf seinem Gelände mittlerweile einen Ort geschaffen, wo Bauunternehmen gemeinsam mit Forschungs- und Bildungseinrichtungen mit dem 3-D-Druck experimentieren können. Präsidentin Kathleen Helsen ist überzeugt, dass diese Technologie eine plausible Antwort auf die Frage nach einer nachhaltigeren Bauwirtschaft geben kann: „Die Nachfrage nach hochwertigen und erschwinglichen Häusern steigt. Zugleich muss der Material- und Energieverbrauch beim Bauen reduziert werden, um das CO2-intensive Bauwesen auf eine klimaschonende Linie zu bringen. Das alles ist mit dem zeit-, material- und kosteneffizienten 3-D-Druck zu bewerkstelligen.“ Nicht zu unterschätzen sei zudem der klimatechnische Vorteil einer kompletten Produktion vor Ort, die zur Verringerung der Transportwege führt. Ein anderes nachhaltiges Argument: Beim 3-D-Drucken von Häusern entsteht wesentlich weniger Abfall, da nur die benötigte Menge an Material zum Bau der Strukturen verwendet wird.

Jüngste Forschungsarbeiten versprechen für die Zukunft eine weitere Verbesserung der Umweltbilanz. An der Fakultät Bau/Geo/Umwelt der TU München wird etwa an neuen Materialien für den 3-D-Druck beim Hausbau gearbeitet. Erfolgversprechend sollen Mörtelmischungen mit recyceltem Bauschutt, Gips oder Lehm sein. Experimentiert wird auch mit der Zugabe von Naturstoffen wie Reis und Hanf. Erfahrungen mit Prototypen gibt es bereits. Das chinesische Unternehmen Winsun fertigte zehn Kleinhäuser in nur einem Tag aus recyceltem Betonmaterial und das italienische 3-D-Druckunternehmen Wasp stellte ein Haus aus natürlichem Schlamm her, der mit Abfallmaterialien aus einer lokalen Reisproduktion gemischt wurde, darunter gehackte Strohhalme und Reishülsen.

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