Streetart: Einzug in den Innenraum

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Der große Hype um die Street Art ist vorbei. Jetzt wollen die Künstler in den Innenraum. Ein ernsthafter Zugang wird ohne viel Getöse auch leichter.

Sie haben sich von der Straße inspirieren lassen. Sie produzieren ihre Bilder auf der Straße – malend, zeichnend und sprayend. Und sie deklarieren die Straße als Ausstellungsort. Die Straße ist das Revier jener Künstler, die sich schlüssig „Street Artists“ nennen, in einer Tradition stehend, die von der Höhlenmalerei über die Renaissance bis zu Jean-Michel Basquiat reicht. Damit schielen sie nicht nur auf Pop und Punk und hin zum Big Apple, wo die Street Art große Tradition hat, sondern grenzen sich nicht zuletzt auch von jenen Straßenkünstlern ab, die – ausgestattet mit einer Batterie Pastellkreiden – zum Gaudium des Publikums die Straßen und Gehsteige der Touristenmeilen in den Metropolen der alten Welt verzieren.

Richtige „Street Art“ hingegen findet auf Hauswänden, Stadtmauern, Brückenpfeilern statt und hat nichts mit leichter Unterhaltung und dem Amusement Vergnügungsreisender zu tun, sondern vielmehr mit Rebellion, Aufstand, Aufmüpfigkeit und damit auch mit der Besetzung, Aneignung und Gestaltung von ein paar Flecken Raum in einem urbanen Gefüge, das im Grunde durch und durch privatisiert ist. Damit ist sie zugleich auch ein Teil des dunklen, abgewandten Gesichts der Großstädte, jener Bereiche, auf die der öffentliche und kontrollierende Blick nicht sofort hinfällt. Denn „Steet Art“ ist, wenn ihr nicht von politischer Seite in einem Anflug von Liberalität anstelle von Strafen Freiräume geboten werden, immer auch illegal.

Für die Werbung „entdeckt“

Frönte sie Jahrzehnte lang als Splitter großstädtischer Subkultur einem nahezu autonomen Dasein, schlägt die Entwicklung, seit die Grenzen zwischen High und Low ins Wanken geraten sind, ins Gegenteil um. So wie Modedesigner mit einem Handstreich plötzlich Couture im Stil der Kleidung von Punks bis Clochards salonfähig machten, nachdem zerschnittene oder zerrissene Jeans längst schon „in“ waren, haben in den letzten zehn Jahren als Erstes die Produktdesigner die Zeichen- und Formensprache der Street Art für ihre Waren entdeckt und adaptiert. „Ohne Street Art würde es diese Werbung nicht geben – auch wenn dabei immer Konsumkritik, Werbekritik, Marketingkritik mitschwingen. Ungefähr 2000 haben Großunternehmen wie Playstation, adidas oder Lavazza im Gegenzug begonnen, den Hype der Street Art aufzugreifen“, sagt Sarah Musser, Kunsthistorikerin und nun Kuratorin einer einschlägigen Ausstellung mit dem Titel „Escape the Golden Cage“. „Dieser Hype ist zwar im Abnehmen. Dafür besteht nun seitens der Künstler zunehmend der Wunsch, auch im Innenraum präsent zu sein.“

Eine Vorreiterrolle hat dabei sicherlich das englische Enfant terrible Banksy gespielt, dessen Werke auf dem Kunstmarkt seit geraumer Zeit Rekordpreise erzielen. Heute hat die Street Art ihre eigene prominente Sammlerschaft und ein Vertriebssystem, das Teil des Kunstmarkts ist. Deswegen schlägt Musser auch eine Begriffskorrektur vor. „Street Art ist eine illegale Kunst im öffentlichen Raum. Das hat nichts mit Graffitis zu tun, die sich an eine eingeweihte Crew richten. Street Art hingegen arbeitet mit Symbolen und Logos, die verstanden werden wollen. Doch so wie sich diese in ihrem Selbstverständnis geändert hat, ist auch der Begriff heute nicht mehr passend. In Deutschland ist daher schon länger die Rede von ,Urban Art‘“, sagt sie. „Und letztlich wäre es auch unlogisch, eine Kunst, die im klassischen Format Ausstellung präsentiert wird, weiterhin als ,Street Art‘ zu bezeichnen.“

Arme Städte haben’s leichter

TIPPS

Entwickelt hat Sarah Musser die Ausstellung, die in einem Gebäude der Universität für angewandte Kunst gezeigt wird, während ihres Aufenthalts in Berlin, einer Hochburg der Street und Urban Art. „Berlin ist heute die Hauptstadt der Street Art und hat damit Paris und New York, die in den 1970er-Jahren eine wichtige Rolle spielten, abgelöst. Das geht soweit, dass es an der Humbold-Uni die weltweit einzige Professur für Street Art gibt. Ein typisches Berliner Phänomen ist auch, dass es im Stadtteil Friedrichshain, dem eigentlichen Zentrum der Szene, seitens der Stadtplanung Überlegungen gibt, Wandbilder und Graffitis zukünftig in die urbanistische Entwicklung und in die Architektur zu integrieren.“ Welche Erklärung gibt es für diese Leader-Rolle Berlins? Musser: „Berlin ist eine arme Stadt, die kein Geld hat, Reparaturen durchzuführen. Wenn Berlin möglicherweise in 30 Jahren reich ist, gibt es dort vielleicht viel weniger Street Art.“ 

Und die Künstler? Welche Motive haben sie, sich im Außenraum zu betätigen? Wie sieht die Szene aus? Wie spiegelt sie sich in der Ausstellung? „Je größer die Stadt ist, desto mehr bist du einer von vielen. Daraus entsteht der Wunsch, als Individuum wahrgenommen zu werden und die Persönlichkeit einzubringen. Doch nicht jeder, der Street Art macht, ist auch ein Künstler“, sagt Musser. „Manche machen es auch aus Spaß, andere aus Überzeugung. Und es ist kein eindeutig abgrenzbares Phänomen wie der Surrealismus, sondern es gibt unterschiedlichste Ausprägungen. Typisch ist eine sehr starke grafische Ausrichtung, die bisweilen in einer feinen und sauberen Ausführung resultiert. Andere gehen malerischer vor und verwenden Schablonen oder Schilder. Und Dritte wiederum arbeiten mit Abfällen und Fundstücken von der Straße.“

Für ihre Ausstellung hat Sarah Musser eine breit gefächerte Auswahl getroffen. Künstler mit akademischem Background (wie etwa der Italiener Marco Pho Grassi) sind da ebenso dabei wie Leute, die aus der Mode-, Grafik- und Designszene kommen, zum Beispiel Jaybo aka Monk oder Paul Bask. Manche sind schließlich längst auf dem „normalen“ Kunstmarkt etabliert – wie etwa Christian Eisenberger, lange Zeit Österreichs Parade-Street-Künstler, oder das Duo Asgar/Gabriel, was sich auch in den Preisen spiegelt. „Man muss aufhören, in Schubladen zu denken,  denn im Grunde ist es ein loser Raum. Und letzlich spielt es doch gar keine Rolle, ob das Etikett ,zeitgenössisch‘ oder ,urban‘ lautet, nicht?“

Draußen für drinnen

„Escape the Golden Cage“, Vordere Zollamtstraße 3 www.escape 2010.at
Ausstellung 1. 10.–24. 10., Eröffnung: 1.10.,19 h. Performances: 7. 10., 19 Uhr, Perfekt*World 9. 10., Nomad Show

Urban-Art-Galerien in Wien: „Inoperable Gallery“ 1070, Burggasse 24 www.inoperable.at „Advanced Minority“ Zieglergasse 29 1070 Wien www.advancedminority.com Last-Minute: Kunsthalle Wien: „Street and Studio“, bis 10.10. www.kunsthallewien.at

Brot Kunsthalle: „Coca colonized“, bis 20.11. www.brotkunsthalle.com

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