Mein Samstag

Fünf Minuten Vergangenheit

(c) imago images/UPI Photo
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Wir haben ein neues Hobby. Es heißt „fünf Minuten Vergangenheit“ und ist so simpel wie nett.

Ich erzähle jeden Tag einfach ein paar Minuten von früher. Meist fällt dem Kind dieses kleine Ritual immer dann ein, wenn es schon schlafen sollte („Wir haben die fünf Minuten Vergangenheit vergessen!“), weshalb ich den leisen Verdacht habe, dass das eine Verzögerungstaktik ist, um länger aufbleiben zu können. Aber gut.

Interessant ist, wie viele Kleinigkeiten plötzlich wieder da sind, wenn man versucht, sich konkret an einen Urlaub, eine Kindergartenfeier zu erinnern. Eingefallen ist mir zum Beispiel, dass wir einmal an unserer alten Wohnung vorbeispaziert sind, die ich dem Kind mit den Worten „Da haben wir gewohnt, als du ein Baby warst, aber es ist uns dann zu klein geworden“ gezeigt habe. Zu klein war im Verständnis des damals dreijährigen Kindes nicht die (zu geringe) Quadratmeterzahl, sondern die Raumhöhe: „Sind wir da an der Zimmerdecke angestoßen?“

Nein, in einem Miniaturhaus haben wir nicht gewohnt, wohl aber viele, viele Nachmittage in einem rosaroten Prinzessinnenzelt im Kinderzimmer. Das Kind hat sein Spielzelt geliebt, als Erwachsener war es, nachdem man sich mühselig zwischen Bussibärhefte und Stofftiere geschlichtet hatte, unbequem und – dank klettverschlussverschlossenen Schlossportals – unendlich stickig. Gelegentlich durfte ich in der rosa Hitzekammer auch noch mühselig Barbies ihre engen Plastikkleidchen an- und ausziehen. Einmal habe ich genau darüber in einer Kolumne geklagt, woraufhin mir eine aufmerksame Leserin einige Barbie-Kleider gehäkelt hat, weil die sich leichter anziehen lassen. (Was wirklich der Fall war!) Die Kleider haben wir bis heute.

Früh hat das Kind, auch das ist mir wieder eingefallen, bemerkt, was die Mutter braucht, damit sie (innerhalb und außerhalb des Zelts) bei Laune bleibt. „Mach dir einen Kaffee“, hat es schon mit drei oder vier Jahren gern gesagt, „sonst wirst du wieder grantig.“ In diesem Sinne: Reisen Sie in die Vergangenheit, und trinken Sie dabei einen ordentlichen Kaffee!

E-Mails an:mirjam.marits@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.06.2021)

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