Junge Forschung

Umwege zu sozialer Anerkennung

Für ihre Dissertation wurde Sabrina Luimpöck kürzlich mit dem Burgenländischen Hochschulpreis ausgezeichnet.
Für ihre Dissertation wurde Sabrina Luimpöck kürzlich mit dem Burgenländischen Hochschulpreis ausgezeichnet.Caio Kauffmann
  • Drucken

Als Expertin für Soziale Arbeit erforschte Sabrina Luimpöck die Situation geflüchteter Tschetschenen. Sie zeigte, wie aus Ausgrenzung dogmatische Religiosität entstehen kann.

Die ausgebildete Sozialarbeiterin Sabrina Luimpöck war lange Jahre „im Feld“ tätig, zum Beispiel in einem Frauenhaus, wo sie wegen ihrer Russischkenntnisse tschetschenische Klientinnen beriet. Die Brüche in den Biografien dieser Frauen, die in ihrer Heimat großteils einer Arbeit nachgegangen, in Österreich aber oft beschäftigungslos waren, gaben die Anregung zu Luimpöcks Dissertationsthema. „Erwerbsbiografien tschetschenischer Flüchtlinge. Krieg, Flucht, Asylverfahren und Integrationserwartungen als biografische Mehrfachzäsur“ lautet der Titel der daraus entstandenen Arbeit.

Der Fokus liegt darin auf in Österreich lebenden Tschetscheninnen und Tschetschenen, deren Fluchtbewegung bereits vor der Jahrtausendwende als Folge der beiden Russisch-Tschetschenischen Kriege einsetzte. Das Potenzial dieser Gruppe und die Hürden auf dem Arbeitsmarkt werden auf Basis von narrativen, biografischen Interviews mit männlichen und weiblichen Geflüchteten analysiert. Mittels Verfahren der „Grounded Theory“ – der Theoriebildung durch Auswertung qualitativer Daten – legt Luimpöck Handlungsmuster offen, die sowohl auf der Seite der Geflüchteten als auch jener der Ankunftsgesellschaft oft unbewusst ablaufen.

Abkehr als Antwort auf Diskriminierung

Eine wichtige Erkenntnis ist für die Wissenschaftlerin, „dass Menschen, die jahrzehntelang das Gefühl haben, von einer sinnstiftenden Tätigkeit ausgeschlossen zu sein und keine soziale Anerkennung bekommen, sich anderen Sphären zuwenden. Das kann, nur um ein Beispiel zu nennen, auch die Religion sein, und zwar in einer Form und Auslegung, die zu noch mehr Abwertung in der Ankunftsgesellschaft führt.“ Die intensive Hinwendung zum Islam gerade bei Jugendlichen entstehe oft erst hierzulande, und zwar auch als Folge von Diskriminierung und Exklusion. Auch habe sich etwa gezeigt, dass Geflüchtete nicht, wie oft unterstellt, um jeden Preis in Wien leben möchten und dass Mütter auch sehr kleiner Kinder durchaus bereit seien, arbeiten zu gehen. Als Hindernisse für Erwerbstätigkeit zeigten sich in der Untersuchung einmal mehr die Komplexität der hiesigen Gewerbeordnung sowie der Anerkennung absolvierter Ausbildungen; außerdem die Schwierigkeit für Mütter, einen Betreuungsplatz zugesagt zu bekommen, solang sie noch nicht in einem Beschäftigungsverhältnis stehen.

Themen tschetschenischer Geflüchteter begleiten Sabrina Luimpöck auch nach Abschluss ihrer Dissertation weiter, so etwa in einem Projekt der Max-Planck-Institute Halle an der Saale und Berlin über Parallelgerichtsbarkeiten nach muslimischen Scheidungen. Ebenso beschäftigt sie sich mit migrantischen Milieus und Minderheiten im Kontext der Arbeitsmarktforschung an der Fachhochschule (FH) Burgenland. Derzeit gilt Luimpöcks Forschungsinteresse verstärkt dem ländlichen Raum. „Lange Zeit hat sich die gesamte Migrations- und Geflüchtetenforschung auf die großen Städte konzentriert. Ich finde es spannend, welche Rolle die Unterkunftgeber in kleinen Asylpensionen für Geflüchtete spielen oder wie Diskriminierung im ländlichen Bereich passiert.“

Teilzeitforscherin aus Leidenschaft

Luimpöck selbst lebt heute in Wien und hat diese Stadt nicht nur als Sozialarbeiterin schätzen gelernt. „Bei aller Kritik, die man auch anbringen kann, funktioniert es doch insgesamt recht gut. Und ich sage das als jemand, der nicht im siebten, sondern im zehnten Bezirk wohnt.“ Die Mutter einer zweijährigen Tochter kann mit der von Forschenden oft beklagten Überschneidung von Arbeits- und Privatbereich gut leben. „Das ist Typsache, und mir geht es gut damit.“ Allerdings bekenne sie sich dazu, derzeit Lehre und Forschung in Teilzeit zu betreiben. Zwar halte sie es mit dem Soziologen Max Weber, der Leidenschaft und harte Arbeit als Voraussetzung für das Entstehen von Wissenschaft definiert habe. „Ich glaube, das stimmt, und ich würde es auch noch durch Forschungsethik ergänzen. Es heißt aber nicht, dass man nur erfolgreich sein kann, wenn man siebzig Stunden pro Woche arbeitet.“

ZUR PERSON

Sabrina Luimpöck (33) absolvierte ein Masterstudium der Sozialen Arbeit an Fachhochschulen sowie ein Bachelorstudium der Slawistik an der Universität Wien. Ihr PhD-Studium schloss sie mit einer Dissertation am Fachbereich Soziale Arbeit der Uni Hildesheim ab, die kürzlich mit dem Burgenländischen Hochschulpreis ausgezeichnet wurde. Seit 2014 ist sie an der FH Burgenland tätig.

Alle Beiträge unter: www.diepresse.com/jungeforschung

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.06.2021)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.