Filmessay

Charles Aznavour: „Ihr seht mir über die Schulter“

„Euer Blick hat aus mir Aznavour gemacht“, sagt Charles Aznavour zu seinem Publikum.
„Euer Blick hat aus mir Aznavour gemacht“, sagt Charles Aznavour zu seinem Publikum.Arsenal-Filmverleih
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„Aznavour by Charles“ von Marc di Domenico ist grandios. Das Material drehte der Sänger selbst und vertraute es am Ende seines Lebens dem Regisseur an.

Natürlich erzählt sich sein Leben am besten über die mehr als 1000 Chansons, die er komponiert hat. Auch über die beiden erhellenden Autobiografien. Unerwartet kommt nun mit dem von Regisseur Marc di Domenico genial geschnittenen Film „Aznavour by Charles“ ein drittes Narrativ hinzu – jene verstreuten Filmchen, die Aznavour mit einer Paillard-Bolex-Kamera machte, die er 1948 von seiner damaligen Chefin Édith Piaf geschenkt bekam. Bis 1982 filmte Aznavour damit. Es entstanden wunderbare Wackelbilder in verwaschenen Farben. Aznavour auf afrikanischen Flüssen, in russischen Zügen, im offenen Wagen auf Capri und an exotischen Orten in Fernost.

Das allein wäre nicht erwähnenswert. Es sind die Gedanken zum Thema Blick, die Aznavour artikuliert. Sie machen aus „Aznavour by Charles“ einen tiefgründigen Filmessay. Am Ende die Enthüllung: „Ich habe mir diese Bilder nie wieder angesehen. Doch ich wusste, ihr würdet sie eines Tages sehen. Und heute seid ihr da, seht mir über die Schulter. Es gibt keine Trennlinie mehr zwischen uns. Unsere Blicke wurden eins.“ Im Verlauf rätselt Aznavour immer wieder über seine Motive, die Kamera in Gang zu setzen. „Manchmal filmte ich, um auf Abstand zu bleiben, manchmal, um mich anzunähern“ – Romain Duris spricht Aznavours Aufzeichnungen mit pathosfreier Stimme. Und doch sind viele Passagen anrührend. Etwa, wenn Aznavour bekennt, dass er in staubigen Straßen und lehmigen Dörfern im Grunde nach sich selbst suchte. „Ich sehe Kinder, die keine Spiele mehr haben, und so tun, als spielten sie. Das erinnert mich an meine Kindheit. Uns fehlte es an vielem, doch Liebe ersetzte uns den Wohlstand.“

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