Gastkommentar

Wenn Weiterbildung selbstverständlich wird

(c) Peter Kufner
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Wissenschaftliche Weiterbildung wird Teil des Erwerbslebens – und zu einer wichtigen Stütze unserer Gesellschaft.

Eine Reihe von Transformationsprozessen, die schon seit Längerem im Gange sind, haben in jüngster Vergangenheit noch einmal rasant an Fahrt aufgenommen. Wir stehen heute vor neuen gesellschaftlichen Herausforderungen, einem gänzlich veränderten Verständnis von Bildung generell sowie von Weiterbildung im Besonderen.

Die öffentlichen Universitäten sind dabei federführend gefordert, die Integration von Weiterbildung zum selbstverständlichen Teil jedes Erwachsenen- und Erwerbslebens zu gestalten.

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Reform der Hochschulgesetze

Die aktuelle Reform der Hochschulgesetze, die vergangene Woche im Nationalrat beschlossen wurde, unterstreicht diese Notwendigkeit und stellt die hochschulische Weiterbildung auf neue Beine. Mehr Flexibilität, neue Angebote und Optionen für Weiterbildungsinteressierte an Österreichs Hochschulen sowie mehr Mobilität zwischen den verschiedenen Studienangeboten berücksichtigen die gesellschaftlichen Wandlungsprozesse.

Besonders spürbar ist ein Strukturwandel bereits auf dem Arbeitsmarkt: Allein in Europa müssen sich in den kommenden Jahren Millionen von Menschen beruflich umorientieren. Eine Reihe von Arbeitsplätzen, die in den vergangenen Monaten verloren gegangen sind, wird schlichtweg nicht in der gekannten Form wiederkommen.

Während auf der einen Seite Arbeitsplätze verloren gehen, werden in anderen Bereichen Fachkräfte dringend gesucht. Das verbindende Element über diese Diskrepanz hinweg muss ein verändertes Bewusstsein für Bildung und das Bekenntnis zur Weiterbildung sein. Das Verständnis eines einmal erlangten Bildungsabschlusses als Festlegung auf ein gesamtes Berufsleben greift in Anbetracht der sich schnell ändernden Rahmenbedingungen von Wirtschaft und Gesellschaft deutlich zu kurz.

Anstatt stets krampfhaft zu versuchen, Arbeitsplätze zu schützen, muss es zunehmend darum gehen, die Arbeitskräfte selbst zu schützen, indem man sie befähigt, sich am stark wandelnden Arbeitsmarkt und im Wettbewerb zu behaupten.

Ein weiter Weg

Hinsichtlich der diesbezüglichen Relevanz von Weiterbildung für prosperierende Gesellschaften herrscht deshalb seit geraumer Zeit über die Grenzen Österreichs hinweg politische Einigkeit. Dementsprechend wird sie auch als zentral für die nachhaltige wirtschaftliche Erholung gesehen: Erst unlängst setzten sich die EU-Staats- und Regierungschefs in Porto das Ziel, dass bis 2030 mindestens 60 Prozent der Erwachsenen an Weiterbildungsmaßnahmen in jedem Jahr (!) teilnehmen sollen. Bis zu diesen 60 Prozent ist es noch ein langer Weg.

Dabei zeigen die Menschen in Österreich, dass sie offen dafür sind, Neues zu lernen. Der Anteil der 25- bis 64-Jährigen, die hierzulande im Jahr 2019 an einer Aus- und/oder Weiterbildung teilgenommen haben, liegt bezogen auf den EU-Benchmark „Lebenslanges Lernen“ über dem EU-Durchschnitt.

Laut Statistik Austria nahmen im Jahr 2019 rund 700.000 Personen an Weiterbildungen teil. Aber nur knapp 17.000 Personen haben währenddessen im Wintersemester 2019/20 Universitätslehrgänge an Österreichs öffentlichen Universitäten belegt. In Relation gesetzt ist das nur ein einstelliger Prozentanteil. Die österreichischen Universitäten bergen demnach im Bereich der hochschulischen Weiterbildung noch ein sehr großes und bis dato weitgehend ungenutztes Potenzial. Und sie bergen Fähigkeiten, die für die Gesellschaft wirksam gemacht werden sollten.

Wissenschaftliches Denken

Denn auf neue Fähigkeiten kommt es heute an: Für den Umgang mit Ungewissheit und steigender Komplexität braucht es wissenschaftlich geprägtes Denken, Methoden und Ansätze zur Herausbildung von neuen Herangehensweisen und neuen Möglichkeiten der Entscheidungs- und Lösungsfindung.

Die Bedeutung von Wissen und Information wandelt sich grundlegend und nimmt im Kontext ihrer ubiquitären Verfügbarkeit stetig ab. Im Zentrum steht der Erwerb von Fähigkeiten zum gestalterischen Handeln sowie kritisches, soziales und disziplinenübergreifendes Denkens. Hier wird Universitäten und der hochschulischen Weiterbildung eine besondere Rolle zuteil und es ist deutlich erkennbar, dass eine alleinige akademische Ausbildung meist am Beginn eines Erwerbs- oder Erwachsenenlebens anachronistisch wirkt, um den individuellen sowie gesellschaftlichen Herausforderungen eines gesamten Lebens zu begegnen.

Insofern wird sich und vor allem soll sich das vorherrschende universitäre Credo der Alma Mater („nährenden Mutter“) zum Bild einer Alma Socia („nährenden Partnerin“) wandeln: Universitäten werden zu lebenslangen Begleiterinnen vom Grundstudium über Weiterbildungsstudien bis hin zu regelmäßigen und kürzeren Weiterbildungsformaten. Sie unterstützen dadurch individuelle Entwicklung und sichern gesamtgesellschaftlichen Fortschritt.

Große Verantwortung

Öffentliche Universitäten haben dabei als zentrale Orte des Lernens eine weitere Verantwortung gegenüber der Gesellschaft. Wissenschaftliche Weiterbildung sorgt mit forschungsgeleiteter Lehre auch für die Sicherung von Erkenntnis und Qualität in einem zunehmend ökonomisierten und privatisierten Bildungsmarkt.

Was passiert aber, wenn fortan nicht die Universitäten jene zentralen Orte des Lernens und der Weiterbildung sind? Es ist selbstredend nur eine Frage der Zeit, bis digitale und algorithmenorientierte Konzerne mit dem Thema Weiterbildung eine wesentliche Stütze unserer Gesellschaft übernehmen. Und dabei wird Shareholder-Zielen gegenüber gesellschaftlichen Zielen meist der Vorrang eingeräumt.

Ob also künftig die Vermittlung von neuem Wissen, neuem Denken und vor allem Fähigkeiten zu selbst- und nicht algorithmenbestimmtem Handeln aus gesellschaftlichem oder aus gewinnorientiertem Interesse erfolgen soll, beantwortet sich weitestgehend von selbst.

Neue Selbstverständlichkeit

Die neuen gesetzlichen Rahmenbedingungen im Bereich der Weiterbildung zeigen, dass die Wichtigkeit von Weiterbildung für die Republik erkannt wurde. Mit den Zielsetzungen der Änderungen für die hochschulische Weiterbildung – zunehmend modulare Bildungsangebote, mehr Flexibilität und Optionen für Weiterbildungsinteressierte sowie hohe Qualität – wird auf wichtige gesellschaftliche Notwendigkeiten Bezug genommen. Auch im europäischen Kontext und Vergleich wurden so die Weichen in Österreich überraschenderweise besonders früh gestellt, um letztlich lebensbegleitendes Lernen an den österreichischen Universitäten zu einer neuen und notwendigen Selbstverständlichkeit werden zu lassen.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

DER AUTOR

Friedrich Faulhammer (*1963) ist seit 2013 Rektor der Universität für Weiterbildung Krems (Donau-Universität). Der studierte Jurist war davor lange Sektionschef und Generalsekretär im Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung und hat dort maßgeblich die Hochschulpolitik mitgestaltet, unter anderem die Umsetzung des Universitätsgesetzes im Jahr 2002.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.07.2021)

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