Zweiter Weltkrieg

Für Prophet und Führer in den Krieg

Grossmufti H. M. Amin el Husseini in Dtld. - H. M. Amin el Husseini bei einem Besuch bosnischer Freiwilliger der Waffen-SS
Grossmufti H. M. Amin el Husseini in Dtld. - H. M. Amin el Husseini bei einem Besuch bosnischer Freiwilliger der Waffen-SS(c) ullstein bild via Getty Images (ullstein bild Dtl.)
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Mehr als 200.000 muslimische Soldaten kämpften freiwillig in Einheiten der Deutschen Wehrmacht, fern ihrer Heimat. Was trieb sie an? Eine neue Studie gibt Auskunft.

E s war ein unerwartetes Bild, das sich den siegreichen amerikanischen Soldaten auf dem italienischen Kriegsschauplatz Anfang Mai 1945 bot. Sie entwaffneten deutsche Einheiten, unter denen Hunderte aserbaidschanische und zentralasiatische Soldaten waren. Turkmenische, kaukasische und tatarische Mitglieder der Waffen-SS ergaben sich den Alliierten. Nicht nur in Südosteuropa und Italien stießen die Alliierten auf Einheiten mit Soldaten aus muslimischen Volksgruppen, auch in Frankreich während der Landung am D-Day. Viele dieser Einheiten, genannt "Turk-Bataillone" oder "Ostfreiwillige", leisteten erbitterten Widerstand, waren ausgezeichnet mit deutschen Tapferkeitsorden.

Im Verlauf des Zweiten Weltkriegs kämpften bis zu 200.000 Soldaten aus muslimisch geprägten Gesellschaften für Deutschland. Geachtet wurden sie von den deutschen Kameraden nicht, die sprachen von "Wilden", "Hottentotten", "Mongolen", "Buschmännern", verächtliche Bezeichnungen aus der Zeit der europäischen Kolonialvergangenheit, zu der auch Deutsch-Ostafrika und Deutsch-Südwestafrika gehörten. Von 1904 bis 1908 wurden hier Einheimische wegen ihrer besseren Landeskenntnisse als Hilfstruppen angeworben. Diesen "Askaris" wurden spezielle Eigenschaften als Kämpfer zugeschrieben, sie galten als "grausame Bestien". In den Schulbüchern der Weimarer Republik war diese stereotype Darstellung vom tapferen und treuen Kolonialsoldaten nachzulesen.

Erinnerung an die Kolonialzeit

Die indigene Bevölkerung als Kombattanten zu gewinnen war also eine alte Tradition, sie war im kollektiven Gedächtnis abgespeichert und für den Aufbau und Einsatz muslimischer Einheiten im Zweiten Weltkrieg nicht unerheblich. Kolonialzeit und Nationalsozialismus lagen zeitlich nicht weit auseinander. Der Rassismus der Vergangenheit wurde gleichsam in den der Gegenwart eingebettet und verschärft.

Im Maghreb, Nordafrika, dem östlichen Mittelmeerraum, Südosteuropa, dem Kaukasus und Mittelasien standen die islamischen Gesellschaften am Vorabend des Zweiten Weltkriegs unter dem Einfluss oder der direkten Herrschaft europäischer Mächte. Die deutsche Seite hatte von 1941 bis 1945 ein maßgebliches Interesse an der Rekrutierung von Muslimen aus den eroberten Gebieten. Warum aber stellten sich diese Menschen in den Dienst des Nazi-Regimes, in der Wehrmacht und auch in der SS?

Die Forschungslücke wird gefüllt durch eine neue wissenschaftliche Arbeit von Stefan Petke: "Muslime in der Wehrmacht und Waffen-SS - Rekrutierung, Ausbildung, Einsatz" erschien im Metropol Verlag (582 Seiten, 35 €).

Die Ausbildung der fremdländischen Soldaten verlief nicht ohne politische und weltanschauliche Einschulung, Sinn und Ziel des Kampfs mussten ihnen erläutert werden, zudem mussten sie auch religiös betreut werden. Keine leichte Aufgabe angesichts der ethnisch-kulturellen Unterschiede und religiösen Vielfalt im Islam.

1941 gab Deutschland das frühere Agreement, Italien im Mittelmeerraum den Vortritt zu lassen, auf. Der Bündnispartner hatte sich als zu schwach erwiesen. Nun war eine aktivere Politik in Nordafrika und dem östlichen Mittelmeerraum angesagt, die "arabische Frage" wurde interessant. Bekannt ist, dass die Zahl arabischer Sympathisanten für das antisemitische Deutschland im Zweiten Weltkrieg anwuchs. Der Großmufti von Jerusalem, Amin al-Husaini, nimmt hier eine besondere Rolle ein. Er war von 1941 bis 1945 im deutschen Exil in Berlin und diente sich dort aktiv dem Regime an. Wie bedeutsam seine Rolle wirklich war, ist schwer zu sagen. War er mehr als nur eine Galionsfigur in Hitlers Islampropaganda? Jedenfalls bot er an, als Gegenleistung für Waffenlieferungen und die Zusicherung einer arabischen Unabhängigkeit einen antibritischen arabischen Aufstand zu entfachen.

1941 begann die Integration lokaler Bevölkerungsgruppen in die Wehrmacht. Man befragte alte militärische Haudegen, die Deutsch-Ostafrika-Erfahrung hatten, und hielt fest: "Der Eingeborene ist kräftig, ausdauernd, behende, kriegerisch, findet sich infolge seines Naturinstinktes vorzüglich in jedem Gelände zurecht . . ." (Bericht des OKW Jänner 1941). Die Charakterisierung erinnert stark an bekannte koloniale Zuschreibungen. Im Sommer 1941 begann die Ausbildung arabischer Freiwilliger aus Syrien und dem Irak, vor allem für Sabotageeinsätze und Propaganda in der arabischen Welt. In der praktischen Umsetzung fehlte es freilich nicht an Problemen, die Ausbildner lehnten eine Gleichbehandlung der arabischen Soldaten ab und konnten sich schwer verständigen. Die Angst der Araber, an die Ostfront verlegt zu werden, wuchs - nicht ohne Grund. Sie wurden in den Südkaukasus verlegt.

Hitler hatte bis dahin immer gesagt: "Nie darf erlaubt werden, dass ein Anderer Waffen trägt als der Deutsche (. . .), nicht der Slawe, nicht der Tscheche, nicht der Kosak oder Ukrainer!" Doch es gab auch andere Stimmen, die für stärkere Kooperationen mit nationalistischen Gruppen der eroberten Gebiete eintraten. Nicht nur die Wehrmacht, auch die Waffen-SS rekrutierte aus den besetzten Ländern Freiwillige. Die Möglichkeit hierzu bot sich ab dem 29. Juni 1941 mit der Erlaubnis Hitlers zur Aufstellung nationaler Legionen. Die militärische Situation hatte ihn dazu gezwungen, die Invasion in der Sowjetunion verlief nicht so wie erwartet. Auf Flugblättern wurden die tatarischen, usbekischen und anderen turkstämmigen Soldaten der Roten Armee zum Überlaufen aufgerufen, die lokale muslimische Bevölkerung auf sowjetischem Gebiet sollte mobilisiert, die Minderheiten gegen das russische "Moskowitertum" ausgespielt werden.

Die muslimischen Soldaten kämpften tatsächlich mit hohem Einsatz gegen den "jüdisch-bolschewistischen" Feind, als Nichtrussen fühlten sie sich den Deutschen näher. Muslimische Kriegsgefangene wurden abgesondert und zunächst zu Milizen, später zu eigenen Kampfeinheiten, etwa einer "kaukasischen" und "Osttürken-Legion", ausgebildet. Erst am 22. Dezember 1941 kam dann der offizielle Befehl Hitlers zur Aufstellung der Ostlegionen. Insbesondere im Südabschnitt der Ostfront drohten durch Überdehnung ganze Abschnitte aufzureißen. In den Muslimen schien man ein riesiges Reservoir mobilisierbarer antisowjetischer Kräfte gefunden zu haben, um die eigenen Ausfälle abzufedern. Wenn sie kollaborierten, waren die Asiaten plötzlich keine "Untermenschen" mehr. Vereidigt wurden sie durch eine ihrem Glaubensbekenntnis entsprechende Formel. Die Vorgesetzten waren prinzipiell Deutsche.

Brutale Partisanenbekämpfung

Der Einsatz in ihren Heimatgebieten war den rekrutierten Soldaten durch den Rückzug der Wehrmacht ab 1943 oft nicht mehr möglich. Vielfach wurden sie jetzt auch von den Waffen-SS-Divisionen angefordert, um die erheblichen Verluste auszugleichen. Es entstand die Division "Handschar", ein neuer Typus in der Waffen-SS mit muslimischen Bosniern, die in dem Gebiet, in dem sie ethnisch verankert waren, in der extrem brutalen Partisanenbekämpfung eingesetzt wurden, auch zur Bekämpfung der Résistance.

Nach der Niederlage und mit dem Beginn des Kalten Kriegs wurden sie wieder benützt, diesmal von den Siegern. Die USA erhofften sich von den Gefangenen Informationen über die Sowjetunion. Sonst blieb das Schicksal der muslimischen Veteranen weitgehend im Dunkeln.

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