Mein Dienstag

Der unwiderstehliche Reiz des Widerspruchs

In Bruges
In BrugesPhoto Credit: Jaap Buitendijk /© 2007 Focus Features
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Je mehr Gegensätze, desto verführerischer, anziehender und attraktiver. Die Rede ist natürlich von Menschen.

Als jemand, der seit jeher mehrmals in der Woche ins Kino geht, wird man nicht nur ständig nach seinem Lieblingsfilm, Lieblingsregisseur und Lieblingsschauspieler gefragt, sondern manchmal auch nach seiner Lieblingsfilmfigur. Die leichteste aller Fragen: Colin Farrell in „Brügge sehen. . . und sterben?“ (2008).

Denn kein Charakter ist widersprüchlicher als Auftragsmörder Ray, der versehentlich ein Kind erschießt, Schuldgefühle entwickelt und sich umbringen will. Als er erfährt, dass er wegen seines Missgeschicks ohnehin ermordet werden soll, hängt er doch wieder an seinem Leben und flieht. Denn wenn ihn jemand tötet, dann er selbst.

Schräg? Es geht noch schräger. Ein allzu sensibler und politisch korrekter Mensch ist Ray nicht, erträgt aber keine Ungerechtigkeiten und setzt sich bei jeder Gelegenheit für andere ein. Er duldet auch keine Unhöflichkeiten, obwohl er selbst die Unhöflichkeit in Person ist. Und er findet Brügge hässlich. Wie kann man denn Brügge nicht mögen?

Gegensätze, die ihn so greifbar machen, so sympathisch, so liebenswert. Nichts an seinem Denken und Verhalten wirkt unecht. Vielleicht, weil er selbst keinen Widerspruch darin erkennt. Solche Menschen sind einfach faszinierend. Sie strahlen eine schlafwandlerische Sicherheit aus – wie Kinder. Sind vordergründig unberechenbar, letztlich aber durch und durch verlässlich. Vielschichtig, aber nicht undurchsichtig. Voller Überraschungen, aber nicht auf eine unangenehme, sondern auf eine erfrischende Art. Selbstbewusst, aber nicht egoistisch.

Wer den Film gesehen hat, wird mit diesen Ausführungen möglicherweise nicht ganz einverstanden sein. Mit dem Bekenntnis, seine engsten Freunde, seine Freundin und sich selbst in Ray, dem Profikiller wiederzuerkennen. Aber warum leugnen? Er ist nun einmal unwiderstehlich. . . der Reiz des Widerspruchs.

E-Mails an: koeksal.baltaci@diepresse.com

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