Film „The Green Knight“

Kopf ab! Ein Ritter zwischen Trieb und Tugend

The Green Knight
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Selten war ein Fantasy-Werk aus der jüngeren Vergangenheit eindringlicher und origineller als dieses verwunschene Spektakel: In „The Green Knight“ hält König Artus' Neffe einem Ungeheuer seinen Kopf hin. Ab Freitag im Kino.

Das europäische Mittelalter war eine behäbige Epoche. Überall Schmutz, langsame Pferde, unbequeme Rüstungen, schwere Waffen – dazu noch die vielen gesellschaftlichen Probleme: Pest, Fanatismus, Folter, Aberglaube. Die Romantiker aber verehrten diese Zeit, auch wenn sie dabei wohl eher an fantastische Sagen, scharfzüngige Hofnarren und betörenden Minnesang dachten. Vielleicht ist das Fantasy-Genre, das sich traditionsgemäß an die Lebenswelt und den Zeitgeist des Mittelalters anlehnt, ja immer schon der Versuch gewesen, die bittere soziale Realität der Epoche durch ihre eigene (freilich weitergedachte) Mythologie zu retten: der Hunger, der Flügel wachsen lässt. Die Sünde, die Ungeheuer weckt. Die Schwerfälligkeit, die der Zauber kompensiert.

„The Green Knight“, die filmische Adaption eines englischen Dichtwerks aus dem späten 14. Jahrhundert, das zur damals in halb Europa populären Artusliteratur zählt, ist eine interessante Ausnahme, weil die übersinnliche Sphäre dem glanzlosen Helden nicht weniger Unglück beschert als die weltliche. Nicht nur lässt sich Gawain (Dev Patel, bekannt aus „Lion“) an der Tafelrunde seines Onkels von einem Baumwesen – dem titelgebenden grünen Ritter – reinlegen; kurz nachdem er sich zu ihm aufgemacht hat, um seine Schuld zu begleichen, wird er auch schon von Vertretern der Unterschicht ausgeraubt: Landstreicher klauen ihm Kleidung, Waffen und Glücksbringer. Sein weiteres Martyrium säumen eine Femme-fatale-artige Schlossherrin (Alicia Vikander), die trickreich seine keusche Tugendhaftigkeit aushebelt, ihr verdächtig spendierfreudiger Gatte (Joel Edgerton), dessen Freundlichkeit ihn beschämt, und nochmals das hölzerne Ökomonster, das ihn ein Jahr zuvor in eine unfaire Wette verwickelt hat.

Überlistet von einem Unsterblichen

Die trägt sich so zu: Sir Gawain, der Neffe von König Artus, der bis dahin das Dasein eines leichtlebigen Adligen geführt hat, wird von dem Ungeheuer in Unkenntnis darüber gelassen, dass es unsterblich ist. Zur Weihnachtszeit schneit das Wesen in Burg Camelot herein und lädt einen Freiwilligen aus der verdutzten Tafelrunde zum ersten Schlag ein. Der zufällig anwesende Bummelant tritt vor, haut ihm den Kopf ab. Enthauptet spaziert das Wesen mit seinem eigenen Schädel unter dem Arm lachend zum Tor hinaus, und erinnert den entgeisterten Gawain an ihre Abmachung: Genau ein Jahr später muss dieser den zweiten Schlag, diesmal von ihm, dem grünen Ritter, entgegennehmen.

Nach einer Odyssee durch raue Landschaften (der Film wurde hauptsächlich in Irland gedreht) hält der Sterbliche ihm also den Kopf hin – büxt dann aber kurzerhand aus. Nachvollziehbar, da der bekehrte Hedonist doch Opfer einer überzogenen Auffassung von Ehre und eines schlechten Witzes eines sadistischen Naturdämons geworden ist, der die Unterlegenheit des Menschen vor der regenerativen und wildwüchsigen Schöpfung demonstriert.

Über die reichhaltigen Bezüge des Originaltextes zur Vorstellungswelt seiner Entstehungszeit ist in der Literaturforschung viel geschrieben und spekuliert worden. Manche halten ihn für eine schwarze Komödie, andere für christliche Propaganda. Die aktuelle Verfilmung, die recht frei mit der Vorlage umgeht, liegt irgendwo dazwischen. Triebhaftigkeit und Natur werden zwar als Quelle von Verderbnis und Täuschung dargestellt, aber nicht mit missionarischer Absicht, sondern aus rein ästhetischer Faszination für die erhabene und morbide Symbolik mittelalterlicher Kunst und Literatur.

Ein Fuchs und nackte Riesenfrauen

Regisseur und Drehbuchautor David Lowery, der zuletzt mit dem transzendental-romantischen Gespenstermärchen „A Ghost Story“ brillierte, spielt virtuos mit Vanitas-Motiven und taucht verwunschene Wälder in giftgelbe Nebelschwaden. Abstrakt gestaltete Traumsequenzen vertiefen die hypnotische Untergangsstimmung, die an expressionistische Stummfilme denken lässt, zusätzlich. Kommen friedliche Erscheinungen aus der magischen Sphäre hinzu, dann wirken sie süßlich, wie der computergenerierte Fuchs, der sich dem unglückseligen Helden als Begleiter anbiedert, oder sie sind bizarr esoterisch, wie die nackten Riesenfrauen, die Gawain von einer Anhöhe aus bestaunt.

Tatsächlich beweist Lowery für die abgründigen Motive des betagten Stoffs ein feineres Händchen als für die wenigen Fantasy-Elemente. Je kompromissloser er die historische Realität und je albtraumhafter er die überforderte Wahrnehmung seines bedrängten Helden beschreibt, desto mehr emanzipiert sich zudem die Bildsprache von externen Vorbildern – spätestens im letzten Drittel hat die von der biblischen Offenbarung und Hieronymus Bosch inspirierte Symbolik ein Eigenleben entwickelt. Der Film wird zur reinen Vision. Szenarien spielen sich im Konjunktiv ab. Lebensläufe werden im Schnelldurchlauf gezeigt. Und die vorher etablierten Details nehmen die poetische Struktur eines kryptischen Gedichts an, das verblüfft und schockiert. Selten war ein Fantasywerk aus der jüngeren Vergangenheit (ja, dazu gehören auch „Herr der Ringe“ und „Game of Thrones“) eindringlicher und origineller. Ein Triumph für das Genre!

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.08.2021)

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