Interview

Mariam Battistelli: „Ich fühle mich nicht eigenartig, wenn eine weiße Sängerin die Aida singt“

Mariam Battistelli war bis 2020 im Ensemble der Staatsoper.
Mariam Battistelli war bis 2020 im Ensemble der Staatsoper. Monarca Studios
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Blackfacing sei „keine ganz einfache Sache“, sagt Mariam Battistelli, italienische Sopranistin mit äthiopischen Wurzeln. Man könne es aber auch respektvoll angehen.

Wie fühlen Sie sich als schwarze Künstlerin, wenn weiße Sänger mit Make-up in schwarze verwandelt werden, um bestimmte Rollen zu verkörpern?

Mariam Battistelli: Ich weiß, dass es dazu unter Kollegen große Diskussionen und verschiedene Meinungen gibt, aber ich selbst fühle mich dadurch nicht angegriffen oder gekränkt – wenn es denn mit Respekt gemacht wird. Theater ist nun einmal eine Kunstform, in der wir vorgeben, jemand anderer zu sein. Ich habe selbst äthiopische Wurzeln – und fühle mich keinesfalls eigenartig, wenn eine weiße Sängerin Aida singt (die ja eine äthiopische Königstochter ist, Anm.). Vielmehr bin ich stolz, dass es eine Frau „of color“ ist, die im Mittelpunkt dieser Oper steht. Was zählt, ist die Handlung. Ich habe, wenn ich in einer Oper mitwirke, die Person aus der Geschichte zu sein, nicht ich selbst. Natürlich gebe ich Aspekte meiner eigenen Persönlichkeit hinzu, aber im Grunde habe ich eine Rolle zu verkörpern. Ich habe Verständnis für Kollegen, die sich durch Blackfacing beleidigt fühlen. Es ist keine ganz einfache Sache. Aber für mich ist das Wichtigste, dass die beste Sängerin und der beste Sänger, die es derzeit – nach Ansicht der Leitung des jeweiligen Opernhauses – für diese Rolle gibt, sie verkörpern, ganz egal, welche Hautfarbe sie haben. Wenn sie dafür angemalt werden müssen und wenn mit Respekt vorgegangen wird, ist das in Ordnung für mich.

Man kann es auch von der anderen Seite sehen: Sie selbst singen zahlreiche Rollen, in denen früher fast oder ganz ausschließlich weiße Künstlerinnen und Künstler besetzt waren. Derzeit proben Sie Norina in Donizettis „Don Pasquale“ in Glyndebourne und singen in dieser Saison an verschiedenen Häusern wieder Musetta in Puccinis „La Bohème“. Waren Sie hier jemals kritischen Kommentaren oder gar Feindseligkeiten ausgesetzt?

Nein, niemals. Ich selbst habe im Opernumfeld nie Erfahrungen gemacht, die mit Diskriminierung zusammenhingen. Im realen Leben schon, aber nicht in unserer Branche. Ich sehe es so: Es ist einfach die Realität, dass es früher viel mehr weiße Sängerinnen und Sänger gab und dass heutzutage Künstlerinnen und Künstler „of color“ mehr und mehr auf den Bühnen der Welt Fuß fassen. Dass sie also auch Rollen spielen, die früher rein von Weißen gesungen worden sind, hat meiner Meinung nach schlichtweg damit zu tun, dass sie nun zahlreicher in den Opernhäusern vertreten sind. Zuletzt war es sogar an der Hamburger Staatsoper so, dass Angel Blue die Partie der Mimì in „La Bohème“ sang und ich Musetta – und es gab keine Diskussion darüber. Auch andere Sänger „of color“ sagen, dass sie es sehr schön finden, wie offenherzig man auf europäischen Bühnen – und ich kann nur über diese sprechen, da ich bisher ausschließlich in Europa gesungen habe – mit diesem Thema umgeht.

Haben Sie das Gefühl, dass Sie härter arbeiten müssen als andere?

Das Level ist generell sehr hoch. Jeder Künstler und jede Künstlerin muss sehr hart arbeiten, um voranzukommen. Am Ende des Tages zählt, dass ich mein Bestes gegeben habe – und ich bin sehr anspruchsvoll mit mir selbst. Ich denke nicht, dass ich mich anders profilieren muss als andere, weil ich eine andere Hautfarbe habe, sondern weil es eine Menge gute Sängerinnen und Sänger gibt. Meine Mutter hat mir immer vermittelt, dass ich mich in meiner Haut wohlfühlen soll und dass es um meinen Charakter gehen muss, ja, dass meine Persönlichkeit das ist, was die Menschen als Erstes sehen sollen – auch wenn es vordergründig anders sein sollte.

Demnächst singen Sie erstmals Norina in Gaetano Donizettis „Don Pasquale“ in Glyndebourne und touren mit der Produktion. Was schätzen Sie an der Rolle?

Ich mag, dass Norina wie eine starke Person wirkt, aber in Wahrheit auch sehr fragil ist – wenn sie am Ende gewinnt, ist das kein reiner Sieg für sie, eigentlich für niemanden. Und das spürt sie auch. Ich schätze sehr, dass ich hier viel von mir hineinlegen kann, denn auch ich habe eine starke und eine empfindliche Seite. Die Partie ist jedenfalls ideal für meine Stimme geeignet, ich kann meine Fähigkeiten gut unter Beweis stellen, und es fühlt sich sehr gut an, Norina zu verkörpern.

Sie werden im nächsten Jahr wieder Musetta singen, jene Partie, die für Sie die erste große Rolle an einem bedeutenden Haus war – der Wiener Staatsoper. Welche Gefühle verbinden Sie damit?

Ich fühle mich dieser Rolle sehr verbunden und bin bis heute dankbar, dass Dominique Meyer mir ermöglicht hat, mein Rollendebüt an der Wiener Staatsoper zu geben. Es ist eine meine Lieblingspartien.

Welche Rollen wünschen Sie sich für die Zukunft – und wäre auch Aida, mit der Sie ja durch ihre äthiopischen Wurzeln verbunden sind, eine Traumpartie? Einst schrieb, wie man hört, Plácido Domingo bei einer Zusammenarbeit „Die nächste Aida“ auf Ihre Noten . . .

Ich würde Gilda in „Rigoletto“ gern singen und Norina in „Don Pasquale“ gern öfter. Und wenn meine Stimme es zulässt, wäre die Titelpartie in „Aida“ natürlich eine Figur, in die ich mit ganz besonderer Begeisterung einmal schlüpfen würde. Wahrscheinlich wäre es sogar das erste Mal, dass eine äthiopische Sängerin die Partie singt. Ich weiß es nicht ganz genau, aber da es ja nicht viele Opernsängerinnen gibt, die Wurzeln in diesem Land haben, wird es wohl so sein. Ich wäre sehr stolz, eine Figur zu verkörpern, die aus meiner eigentlichen Heimat kommt. Zwar bin ich in Italien aufgewachsen, aber ich fühle mich Äthiopien sehr verbunden, es wird immer ein Teil von mir sein.

Steckbrief

Die Sopranistin wurde in Äthiopien geboren und wuchs in Italien auf. Ihr Durchbruch gelang als Page in „Rigoletto in Mantua“ mit Plácido Domingo, an dessen Opernstudio in Valencia sie weitergebildet wurde. Sie gewann zahlreiche Preise und war von 2018 bis 2020 im Ensemble der Wiener Staatsoper. Dort sang sie u. a. Gretel in „Hänsel und Gretel“, Barbarina in „Le Nozze di Figaro“ sowie Musetta in „La Bohème“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.09.2021)

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