Culture Clash

Mein Name ist Puuh, Winnie der Puuh

Gerechte Filmbesetzungen sollten sich nicht mit einem weiblichen James Bond begnügen. Da gibt es noch viel mehr zu dekonstruieren.

Heute rühre ich hier an Weltbewegendes: an den nächsten James Bond. Oder die. Seit Jahren wird ja urgiert, dass ihn endlich eine Frau spielen muss. Produzentin Barbara Broccoli oder Daniel Craig selber haben sich zwar dahingehend geäußert, dass Bond doch irgendwie der maskuline Typ sei und Frauen doch mit originalen Rollen eher gewürdigt würden. Aber sie werden ob dieser Ignoranz tüchtig in den Medien geprügelt.

Ich hatte als 15jähriger lange vor den Filmen die Bond-Romane entdeckt. „The scent and smoke and sweat of a casino are nauseating at three in the morning“ - schon diese erste Zeile des ersten Buches (das Ian Fleming vor seiner Hochzeit schrieb, um das Lebensgefühl des Junggesellen festzuhalten) hat mich direkt aus der St. Pöltner Stadtbücherei in eine irisierende Männerwelt versetzt. Wenn man in Bond nur ein schießendes, rennendes und dank technischer Kinkerlitzchen überlebendes Etwas sieht, können ihn alle verkörpern, die etwas fitter sind als ich (aber warum sollte sich jemand darum reißen?). Schätzt man den cineastischen Bond auf der Basis des literarischen, ließe ein Geschlechtersprung wenig von dem übrig, was Bond ausmacht.

Aber Filme sind ja heute nicht so sehr dafür da, um uns mit einer stimmigen Geschichte zu unterhalten oder zu berühren, sondern um Gerechtigkeit herzustellen. Dieses schöne Prinzip sollte über die Austauschbarkeit der Geschlechter hinaus erweitert werden: Wenn Bond kein Mann sein muss, muss er auch kein Brite sein. Und kein Geheimagent. Warum inszeniert man Bond also nicht als 14jährige mongolische Biobäuerin? Von mir aus mit explodierender Armbanduhr, wegen der Wiedererkennbarkeit.

Und die ganze Filmwelt lechzt nach Dekonstruktion: Die nächste Version von „Pride and Prejudice“ – der Titel schreit ja geradezu danach! - braucht eine Miss Darcy, die sich in Elisabeth Bennet verliebt. Dann funktioniert zwar die von Jane Austen in Szene gesetzte Mechanik der Geschlechterbeziehungen nicht mehr, aber für die Gerechtigkeit muss man eben Abstriche machen. Und ich finde, dass Winnie der Puuh, der unsere Stofftier-Vorstellung auf den Teddy verengt hat, endlich als Qualle gezeichnet werden sollte. Quallen sind faszinierende Wesen, die nur wegen ihres niedrigen Kuschelfaktors – ein bloßes soziales Konstrukt - ausgegrenzt werden.

Aber es könnte natürlich auch sein, dass eine Welt, in der es keine Eigentümlichkeiten der Geschlechter, Kulturen, Alter oder Schichten mehr gibt, sondern wo alle alles sind, der Menschheit dann doch nicht so gerecht wird wie erhofft.

Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“ und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.

meinung@diepresse.com

www.diepresse.com/cultureclash

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.10.2021)

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