Individuelle Freiheit im eingrenzenden Kollektiv. „Le Bal du Moulin de la Galette“ von Auguste Renoir, 1876.
Geschichte

Wie eine bürgerliche Gesellschaft entsteht

Das bürgerliche Zeitalter Frankreichs im 19. Jahrhundert gehört zu einem zentralen Bereich der Kulturgeschichte Europas. Ein neues Buch schildert nicht nur den Glanz von Paris, Literatur, Malerei und Bohème, sondern auch die Dissonanzen der populären Epoche.

Ein schwacher Staat ist auch keine Lösung – das zeigte die Pandemie. Plötzlich war seine Allgegenwart gefragt. Der Staat steht in der Pflicht, hieß es. Doch nicht die ganze Bevölkerung trug die Eingriffe in die persönliche Freiheit mit. Es ist das alte Problem des bürgerlichen Gesellschaftsmodells: Wie weit darf die Einzäunung der Freiheit gehen?

Gerade recht kommt da das Buch des Wiener Historikers Thomas Hellmuth über die bürgerliche Gesellschaft im Frankreich des 19. Jahrhunderts. Denn hier kam die Problematik, wie man als Staat ein für den Bürger erträgliches Korsett schnürt, zum Vorschein. Ausgangspunkt waren die Ideen der Französischen Revolution. Einer, der selbst große Probleme mit staatlicher Verfolgung hatte, der deutsche Dichter Georg Büchner, hat das in seinem Drama „Dantons Tod“ von 1835 aufgegriffen. Bei Büchner sagt der Revolutionär Camille Desmoulins: Der Staat sollte sich wie ein „durchsichtiges Gewand“ um den Bürger legen, zwar dicht, aber ohne ihn zu schnüren, Muskeln, Adern und Sehnen müssten sich darin abdrücken können: „Die Gestalt mag nun schön oder hässlich sein, sie hat einmal das Recht zu sein, wie sie ist; wir sind nicht berechtigt, ihr ein Röcklein nach Belieben zuzuschneiden.“

Wertekatalog. Der Staat als maßgeschneidertes „Röcklein“, das einem nicht den Atem abschnürt – das ist zweifellos ein schönes Bild für die Freiheit in der bürgerlichen Gesellschaft. In Büchners Drama schlägt der Idealzustand um in die Unterdrückung des Individuums durch die jakobinische Tyrannei: Die Freiheit des Bürgers erstickt. Symbol dafür wurde die auf der Pariser Place de la Révolution aufgestellte Guillotine. Nach diesem „gesellschaftlichen Bigbang“ des 18. Jahrhunderts, der Aufklärung und der Revolution, so Thomas Hellmuth, setzte sich ein bürgerlicher Werte- und Normenkatalog durch, ein erfolgreicher gesellschaftlicher und kultureller Kosmos, der alle Bereiche des Lebens umfasste und auch die unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen zu vereinen suchte. Einem neuen Menschen sollte zum Durchbruch verholfen werden.

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