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Wenn der Quellcode sprudelt

Getty Images/iStockphoto (nikkimeel)
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Bei der Entwicklung von Anwendungen der künstlichen Intelligenz spielt Open Source seine Stärken aus.

Alle unsere Patente gehören Euch. Patente behindern die Entwicklung der Elektromobilität. Die Freigabe wird den Fortschritt beflügeln.“ Am 12. Juni 2014 sorgte Tesla-Chef Elon Musk mit seinem Blogeintrag für Aufsehen. Während manche Kritiker dahinter bloß einen Marketingcoup vermuteten, legte der US-Amerikaner mit südafrikanischen Wurzeln im Jahr darauf mit einem neuen Unterfangen ein milliardenschweres Schäuferl nach. Mit der Gründung von OpenAI verquickte Musk die Idee des kollaborativen Forschens mit einem weiteren Zukunftsfeld: Insgesamt eine Milliarde US-Dollar wurden von ihm und anderen Investoren zur Verfügung gestellt, um künstliche Intelligenz zu entwickeln und zu vermarkten. Die zentrale Idee hinter der gemeinnützigen Gesellschaft: freie Zusammenarbeit mit anderen Institutionen und Forschern. „Patente und Forschungsergebnisse werden für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht“, so Musk bei der Gründung.

Vom Branchen-Krebs zum Must-have

Die Idee von sogenannten Open-Source-Systemen war freilich nicht neu. Nachdem die Freie-Software-Bewegung der 1980er-Jahre den Weg bereitet hatten, kam es 1998 zum breitenwirksamen Durchbruch. Das US-amerikanische Unternehmen Netscape entschied sich in Anbetracht der zunehmenden Browser-Marktdominanz von Microsoft, den Quelltext des wirtschaftlich nicht mehr verwertbaren Netscape-Navigators freizugeben. Aus der Freigabe entstand Jahre später das Mozilla-Projekt. Ebenfalls 1998 gründete der amerikanische Softwareentwickler und Open-Source-Aktivist Eric S. Raymond die Open Source Initiative (OSI), um Open-Source-Lizenzen zu schaffen, die unter anderem auch für Wirtschaftsunternehmen attraktiv sein sollten. Lizenzverträge von Software müssen seit damals drei Hauptmerkmale aufweisen, um gemäß OSI als Open Source durchzugehen: Die Software, sprich der Quelltext, liegt in einer für den Menschen lesbaren und verständlichen Form vor, darf beliebig kopiert, verbreitet und genutzt sowie verändert und in der veränderten Form weitergegeben werden.

Bei Microsoft stieß die Idee zunächst auf wenig Begeisterung. „Open-Source-Entwickler sind Kommunisten!“ lautet ein Zitat von Bill Gates aus dem Jahr 2005. Nachfolger Steve Ballmer, Microsoft CEO von 2000 bis 2014, bezeichnete das Open-Source-Betriebssystem Linux einst gar als „Krebs“ der Branche. 2021 ist der Saulus längst zum Paulus geworden und Microsoft zu einem der größten und mächtigsten Unterstützer des Open-Source-Prinzips avanciert. „Deutschlands Weg führt über Open Source“, lautete vor zwei Monaten die dazu passende Headline eines Kommentars von Marianne Janik in der Frankfurter Allgemeine. Die Deutschland-Chefin von Microsoft spricht vom ungeheuren Potenzial, das zur Entfaltung kommen kann, wenn unzählige Menschen zusammenarbeiten: „Mit GitHub hat Microsoft die führende Entwicklerplattform für Open-Source-Software übernommen. 35.000 Microsoft-Mitarbeiter besitzen gegenwärtig GitHub-Accounts und steuern Code zu Open-Source-Projekten bei.“ In den Cloud-Infrastrukturen, die immer mehr zum Geschäftskern von IT-Unternehmen werden, ist Open Source laut Janik schon jetzt vielfach der Code der Wahl. Eine noch größere Bedeutung von offener Software sieht sie in Bereichen wie künstliche Intelligenz und Big Data Analytics.

Transparenz und ethische Aspekte

Warum Open Source insbesondere beim Einsatz von KI-Systemen seine Stärken ausspielen kann, erklärt Matthias Nannt vom Netzwerk zu Data Science und künstlicher Intelligenz, Kiel.AI: „KI-Systeme treffen immer wichtigere Entscheidungen und da ist es von großer Bedeutung zu wissen, warum Systeme diese Entscheidung treffen. Es geht darum, Fehler möglichst gut auszuschließen und Systemen nicht blind vertrauen zu müssen.“ Bei Open-Source-Systemen könne jeder, der Interesse hat, einsehen, wie das Programm Entscheidungen trifft, und Schwachstellen öffentlich aufzeigen. Das führt zu einem transparenten Diskurs.

„KI-Systeme quelloffen zu machen ermöglicht einen fairen Zugang und demokratisiert sie“, schlägt Stephan Tao Zheng, Lead Research Scientist beim Software-Unternehmen Salesforce Research, in die gleiche Kerbe – und bringt eine ethische Komponente ins Spiel. Tao Zheng leitet das AI Economist Team von Salesforce, das mit Deep Reinforcement Learning und datengesteuerten Multi-Agenten-Simulationen KI nutzt, um Wirtschaftsstrategien zu entwerfen, die das soziale Wohlergehen verbessern. Ein beispielhaftes Forschungsprojekt befasst sich mit dem Thema „Gleichheit und Produktivität mit KI-gesteuerter Steuerpolitik“. „Die wirtschaftliche Ungleichheit nimmt weltweit zu und hat negative Auswirkungen auf die Gesundheit und das soziale Wohlergehen der Menschen. Steuern sind für Regierungen ein wichtiges Instrument zur Verringerung dieser Ungleichheit“, so Tao Zheng, und weiter: „Allerdings ist es ein noch ungelöstes Problem, eine Steuerpolitik zu finden, die sowohl die Gleichheit als auch die Produktivität optimiert. The AI Economist bringt erstmals Reinforcement Learning, kurz RL, in die Gestaltung der Steuerpolitik ein, um eine rein simulations- und datengesteuerte Lösung zu bieten.“ Der Vorteil der Machine-Learning-Methode RL liege darin, dass vorab keine Daten benötigt werden. Stattdessen werden diese in einer Simulationsumgebung in vielen Durchläufen in einem Trial-and-Error-Verfahren während des Trainings generiert und gelabelt. Im Ergebnis ist durch RL eine Form künstlicher Intelligenz möglich, die ohne menschliches Vorwissen komplexe Steuerungsprobleme lösen kann – wie etwa jenes der Steuerung von Einkommensgleichheit durch Abgabenpolitik.

Vertrauen in KI-Anwendungen

„Die Experimente zeigen, dass der selbstständig lernende Software-Agent, sprich unser KI-Ökonom, den Kompromiss zwischen Gleichheit und Produktivität um 16 Prozent verbessern kann. Das hätte enorm positive Auswirkungen auf die Gesellschaft“, so Tao Zheng, für den Open Source ein essenzielles Element bei der dynamischen Entwicklung von KI-Technologien ist: „Wenn KI-Systeme in der realen Welt eingesetzt werden, müssen sie unbedingt auf faire und repräsentative Weise verwendet werden. Sie müssen transparent, erklärbar und robust sein, um das nötige Vertrauen in maschinengesteuerte, automatisierte Anwendungen zu schaffen. Und um sicherzustellen, dass sie nach ethischen Kriterien eingesetzt werden.“ Das alles sei nur mit Open-Source-Systemen möglich.

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