Nachruf

Balkan-Kennerin und Respektsperson

Irene Miller, Polen-Korrespondentin und Balkan-Expertin.
Irene Miller, Polen-Korrespondentin und Balkan-Expertin. [ privat ]
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Irene Miller prägte in den 1990er-Jahren die Berichterstattung der „Presse“ über die Balkan-Kriege. Kürzlich ist die Journalistin im Alter von 80 Jahren gestorben.

Dass sich Irene Miller vermeintlich über das KP-Regime in Warschau mokierte, fanden die polnischen Genossen um Edward Gierek so gar nicht lustig. Sie warfen die „Presse“-Korrespondentin 1980 – zur Zeit der aufkeimenden Solidarność-Bewegung – kurzerhand aus dem Land. Die Familie folgte ihr erst ein paar Monate später nach Wien, damit die Söhne wenigstens noch das Schuljahr abschließen konnten. Damit endete zunächst auch die journalistische Karriere Millers, die kürzlich nach schwerer Krankheit im Alter von 80 Jahren in Niederösterreich verstorben ist.

Eine subtile Spottlust war der sonst zurückhaltenden Historikerin und Ost- und Südosteuropa-Expertin nie abzusprechen. In der Redaktion und erst recht bei den Jungspunden, die sie mitunter unter ihre Fittiche nahm, galt sie nicht nur wegen ihrer Kompetenz als Respektsperson – was ihr Dutt als äußeres Markenzeichen noch betonte. Leitartikel mit klarem Standpunkt und luzide Analysen gingen ihr in geradezu atemberaubendem Tempo von der Hand.

Minenopfer und Straßenkinder

Nachdem die Laufbahn des Ehemanns die Familie in den 1980er-Jahren erst nach Belgrad und dann nach Kairo verschlagen hatte, knüpfte Miller im Schicksalsjahr 1989 im Außenpolitik-Ressort der „Presse“ beruflich an, wo sie aufgehört hatte – gerade rechtzeitig zu den großen Umwälzungen hinter dem „Eisernen Vorhang“ und vor den Balkan-Kriegen der 1990er-Jahre. Es war ein spannungsgeladenes Jahrzehnt vor der österreichischen Haustür, und in der „Apo“ – dem außenpolitischen Ressort – rauchten Köpfe wie Zigaretten, die das Büro spätestens zu Redaktionsschluss in eine Nebelhöhle verwandelten.

Miller erkundete den „Subkontinent“ Balkan in zig Interviews, Reisen und Berichten. Die Minenopfer weckten ihr besonderes Engagement, die Antiminen-Konvention wurde ihr ein Herzensanliegen. Jahr für Jahr besuchte sie für die Weihnachtsaktion von Pater Georg Sporschill auch die Straßenkinder von Bukarest.

Mehr als nur ein Beruf

Der Journalismus war dem Familienmenschen, der stets in warmen Tönen von den beiden Söhnen sprach, mehr als nur ein Beruf. Bereits zu Studienzeiten hatte die frühere Stewardess in der Morgenredaktion des „Kurier“ angeheuert, und nach ihrer Pensionierung vor 20 Jahren setzte sie die Tätigkeit als freie Autorin in den Beilagen der „Presse“ fort. Danach zog es sie als Touristin in ausgedehnten Reisen nochmals zu ihren journalistischen Anfängen, auch nach Polen, wo inzwischen die KP-Gegner zunehmend autoritär regieren. (vier)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.10.2021)

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