Mein Samstag

Der seltsame Ruf der Leere

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Von Aha-Momenten und der Erkenntnis, dass man mit Hirngespinsten nicht allein ist.

Vor Kurzem hatte ich ein Aha-Erlebnis. So einen Moment, bei dem man sich fragt, warum man dies erst jetzt, nach mehreren Jahrzehnten auf diesem Planeten, begreift. Ich habe über das Phänomen „Call of the Void“ gelesen. Wörtlich übersetzt der „Ruf der Leere“, kann man es auch als seltsamen Drang, sich in die Tiefe zu stürzen, beschreiben.
Er tritt etwa auf, wenn man an einem Abgrund steht. Und plötzlich der irrationale Gedanke aufkommt, dass man sich ja einfach hinunterstürzen könnte. Oder wenn man auf der Schnellstraße unterwegs ist und sich ausmalt, wie es wäre, das Lenkrad herumzureißen und in den Gegenverkehr zu krachen. Kennen Sie das? Ich schon. Und bis jetzt habe ich mir um mich selbst und meine mentale Verfassung immer ein bisschen Sorgen gemacht.

Tatsächlich sind diese Gedanken, die in der Wissenschaft auch „High-Place-Phänomen“ genannt werden, weit verbreitet und treten unabhängig von tatsächlichen suizidalen Gedanken auf. Unser Gehirn spielt uns dabei einen Streich: Der Blick in den Abgrund signalisiert Gefahr. Weil man aber eigentlich nicht in Gefahr ist, aber das Gehirn ein Signal dafür bekommen hat, versucht es, eine logische Erklärung zu finden. Es lässt uns also denken, dass wir springen wollten.
Vielleicht wussten Sie das alles schon, für mich jedenfalls war diese Info neu. Und sie hat mich enorm beruhigt – genauso wie die Erkenntnis, dass diese Gedanken fast alle meiner Freunde kennen.

Warum aber habe ich erst jetzt davon erfahren? Vermutlich, weil man suizidale Gedanken, auch wenn sie nur für eine Sekunde auftreten, nicht gern ausspricht. Dabei hilft es, miteinander zu reden. Um zu merken, dass man nicht allein ist mit seltsamen Hirngespinsten. Oder dass man Hilfe bekommt (etwa unter der Telefonseelsorge-Nummer 142), sollten diese Hirngespinste einmal zu real werden.

E-Mails an: teresa.wirth@diepresse.com

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