Culture Clash

Sebastian Kurz: Kein Mitmensch, bloß eine Figur

Mich erstaunt, wie freimütig und öffentlich Sebastian Kurz heute gehasst und verachtet wird. Hat uns die Pandemie verroht? Oder was kann es sonst sein?

Zuletzt hatte ich hier über die Leaks aus dem Justizapparat geschrieben. Und dass mich die Art, jemanden schon vor einem Gerichtsverfahren fertig zu machen, beunruhigt. Interessant waren die Reaktionen darauf: Den einen tat Sebastian Kurz leid, die anderen freuten sich über seine Demütigung. Aber kaum jemand ging auf die Sache ein. Mir war es ja nicht um Kurz gegangen, sondern um Sie und mich und das Prinzip: um eine Entwicklung im Rechtswesen, die jeden treffen kann.

Es gibt aber schon auch eine Frage in Bezug auf die Person des Ex-Bundeskanzlers, die mich umtreibt: Woher kommt der besondere Hass auf ihn? Wie ihn etwa ein Dramaturg in einem Leserbrief an die „Presse“ zum Ausdruck bringt, der Kurz einen „schleimigen“ und „skrupellosen Intriganten“ nennt, eine „verächtliche Figur“, die aus dem politischen Leben Österreichs zu entfernen, „eine dringende Forderung von Kultur und Hygiene“ sei. Ich habe eine Zeit lang die Leserbriefseite der „Presse“ betreut. Ich kann mich nicht an eine Person des öffentlichen Lebens erinnern, die sich so freimütig zur Verachtung eines anderen Menschen bekannt hätte.

Haben tatsächlich so viele mit dem 35-jährigen Sohn eines Ingenieurs und einer Lehrerin aus Liesing ein Erlebnis gehabt, das ihn als Unmensch entlarvt hätte? Oder handelt es sich um ein schon bei Wolfgang Schüssel aufgetretenes Phänomen: dass es als empörende Anmaßung empfunden wird, wenn jemand glaubt, regieren zu dürfen, obwohl er nicht links ist? Und dass er damit auch noch Erfolg hat! (Vergleiche die deutsche Grün-Politikerin, die den Erfolg der FDP bei den Jungwählern kürzlich einen „Skandal“ genannt hat.)

Oder ist es die Jugendlichkeit? Wie bei William Pitt, der mit 24 Jahren 1784 britischer Premierminister wurde (und ausgeschaut hat wie Kurz mit Allongeperücke). Er wurde als „Schulbub“ verlacht, der farblos und von oben herab sei, mehr ein Techniker der Macht als ein leidenschaftlicher Volksfreund. Von seinen Gegnern um Charles James Fox sagt man, dass sie ihn so hassten, dass sie ihn um jeden Preis loswerden wollten, auch durch tätliche Angriffe oder Verleumdungen, etwa dass der unverheiratete Pitt etwas mit seinem Finanzminister habe. Er konnte trotz allem die Tories konsolidieren und entscheidende Reformen in die Wege leiten.

Der Blick auf Pitt hat etwas Optimistisches: Die Demokratie hat damals die Personalisierung des politischen Streites und die Bagatellisierung des Hasses gut überstanden. Allerdings: So etwas ist immer den Respektvollen zu verdanken und nicht den Bezichtigern.

Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“ und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.

meinung@diepresse.com

www.diepresse.com/cultureclash

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.10.2021)

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