Kolumne zum Tag

Starke Namen für schmucklose Stadtflächen

APA/BARBARA GINDL
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Es erfordert Überwindung, die Natur einfach ihrem Lauf zu überlassen.

Es regnet Blätter vom Himmel. Der Nachschub schien lang unerschöpflich, aber nun reichen ein paar Böen, und über Nacht sind die Bäume kahl. Vor meinen Augen weicht die Farbe aus der Welt. Das Foto der Allee, wo man unter bunten Baumkronen auf einem Teppich aus Blättern ging, wird mit dem Kommentar „Boulevard of fallen leaves“ an die Freundin geschickt. Sie antwortet mit dem Emoji, das sich beide Augen zuhält. Sie verträgt keinen Herbst-Blues.

Die Kinder fragen die Oma, warum sie unermüdlich Laub recht. Es sei doch sinnlos. Kommt ein Windstoß, wird alles wieder herumgewirbelt, und überhaupt, das Laub erledige sich eigentlich von selber. Das lernt man auch so in Biologie. Aber verrottende Blätter sind rutschig. Gehen Sie doch in Dürnstein die schmale Gasse vom Stift zur Donau hinunter, und Sie werden mit Schwung durch den Torbogen (ein wunderschönes Guckloch) schlittern.

Manche Blätter sind in ein paar Wochen zersetzt, andere brauchen dafür Jahre, je nach Baum und Strauch. Ein Garten, eine Terrasse, auf der das Laub einfach liegen bleibt, wirkt vernachlässigt, verlassen gar. Es erfordert Überwindung, die Natur einfach ihrem Lauf zu überlassen. Irgendwann ist alles so zugewuchert, dass einem der Zutritt verwehrt ist.

An das Gegenteil erinnert eine Straße in Simmering. Aus Zufall ist man hier gelandet, zwischen Autohäusern, Bauunternehmen, einer Asphaltfabrik. „Wildpretstraße“ intoniert die Navi-Stimme und klingt selbst amüsiert darüber. Beim Nachforschen stellt sich heraus, dass der Name an die Jagden erinnern soll, die hier stattfanden, zumindest im Jahr 1881, als die Straße getauft wurde. Am Simone-de-Beauvoir-Platz in der Seestadt Aspern im 22. Bezirk kommt man weiter ins Grübeln. Wird eine schmucklose Fläche durch einen starken Namen beseelt? Und welche Assoziationen wird der Platz in 100 Jahren in jenen auslösen, die hier wohnen? Wie schade, das nicht mehr zu erfahren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.11.2021)

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