Der Siegeszug der Sportmaschinen

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Das Heldensystem des Spitzensports hat, wie Doping- und Korruptionsfälle zeigen, ein profundes Problem mit der Selbstwahrnehmung und Selbstachtung. Doch der Glanz muss unter allen Umständen weiter bestehen.

#2Der Held stirbt früh, und der Star überlebt sich.“ Beide Typen seien „eigentlich“ für einen frühen Tod vorgesehen, sagte der deutsche Philosoph Peter Sloterdijk einst in einem Interview mit dem „Spiegel“. „Der Held auf dem Schlachtfeld, wo er fällt, der Star durch seine Wiedereingliederung ins zivile Leben, was ja einer Ausmusterung und somit einem symbolischen Tod gleichkommt.“

Am Glanz der Heldenstars hängt, zu ihrem Glanz drängt die Welt. Egal, aus welchem System die jeweilige Nation geschnitzt ist, Sportglorie nützt ihr. Von der chinesischen Parteidiktatur über den Kaderkommunismus von der DDR bis zur UdSSR, von Königreichen bis zu Demokratien, alle Staaten reichern ihren Märchen- und Menschenschatz mit Sportlern und deren Triumphen an.

Der Glanz muss unter allen Umständen weiter bestehen, dennoch oder vielleicht deshalb hat „der Sport“ ein tiefes Problem mit seiner Selbstachtung und Selbstwahrnehmung. Von den regelmäßig auftauchenden Korruptionsvorwürfen im IOC und in der Fifa (englische Journalisten überführten vor wenigen Tagen zwei Fifa-Funktionäre der Bestechlichkeit) über den kleinen Formel-1-Diktator Bernie Ecclestone (er lobte in einem Interview mit der englischen Zeitung „The Times“ Hitler, der viele Dinge erledigte und die NS-Verbrechen vielleicht gar nicht begehen wollte) bis zu Doping und der Kinderarbeit im Sport (das Höchstleistungsalter im Damen-Kunstturnen beginnt mit 17Jahren), die dunklen Seiten des Glamour-Gewerbes werden dunkler.

Die Probleme sind nicht neu, sie sind uralt. Das zeigt eine vor wenigen Tagen vorgelegte wissenschaftliche Arbeit, die zu den Gerüchten vom Doping der deutschen WM-Helden 1954 Indizien liefert. Der Journalist und Historiker Erik Eggers legte das an der Universität Leipzig erarbeitete Forschungsprojekt „Doping in Deutschland“ vor. In Leipzig befand sich einst die Zentrale des DDR-Staatsdopingsystems. Als die Deutschen in Bern 1954 die favorisierten Ungarn 3:2 besiegten, erfolgte „die Neugründung der Bundesrepublik Deutschland“, wie die gängige historische Exegese lautet. Eggers Studie zufolge waren die Deutschen gedopt, und zwar mit „Stukapillen“ (Wirkstoff Pervitin), die Sturzbomberpiloten im Zweiten Weltkrieg nahmen.

DDR-Trainer landeten in Österreich. Als die DDR 1990 der BRD beitrat und sich das Staatssportsystem auflöste, verloren viele der besten Fachleute des DDR-Sportsystems ihre Existenz. Einige gründeten mit ihrem Wissen in Österreich eine neue Existenz.

In Österreich herrschte darüber helle Freude. Bernd Pansold arbeitete jahrelang im (inzwischen geschlossenen) Olympiastützpunkt Obertauern, wo etliche Skirennläufer des ÖSV trainierten. Im Dezember 1998 verurteilte ihn die 34.Große Strafkammer für die Steuerung der Vergabe von virilisierend wirkenden, stark gesundheitsschädigenden anabolen Steroiden an neun minderjährige Schwimmerinnen.

In Österreich war Pansolds Verurteilung bei den Sportoberen nie ein Thema. Pansold richtete in Thalgau für Red Bull ein „Diagnostics Training Center“ ein und empfing dort im Februar 2005 die Mitglieder des Subventionsvergabegremiums Top Sport Austria (TSA). Der damalige ÖOC-Generalsekretär Heinz Jungwirth, Sporthilfe-Chef Toni Schutti, ÖOC-Funktionär Theo Zeh, Sektionsleiter Robert Pelousek, der ministerielle Fachmann Mathias Bogner, der oberösterreichische Landessportdirektor Alfred Hartl und BSO-Generalsekretär Walter Pillwein bewunderten Pansolds Wirkungsstätte.

Derzeit baut Pansold übrigens in Leipzig, also an seiner früheren Wirkungsstätte, für den Red-Bull-Klub RasenBallsport Leipzig ein Trainingszentrum. Pansold war nur einer von vielen DDR-Experten, die Österreichs Szene mit Know-how versorgten.

Der verstorbene Schwimmcoach Rolf Gläser, der unter anderen die österreichische Paradeschwimmerin und aktuelle Landtagsabgeordnete (für die SPÖ Oberösterreich) Vera Lischka betreute. Radtrainer Gerd Müller, Judo-Coach Frank Friedrich, Ruder- und Höhentrainingsexperte Hans Eckstein. Stephanie Grafs und Susanne Pumpers Trainer und Mediziner Helmut Stechemesser (Pumper wurde des Dopings überführt). Klaus Bonsack kümmerte sich um die Rodler, Wolfgang Kipf um die Volleyballer, Werner Trelenberg um die Leichtathleten.

Sie alle müssen sich heute gefallen lassen, dass ihre Namen im Dunstkreis des Dopings fallen, weil in Österreich und Deutschland nie eine historisch-kritische, auf wissenschaftlicher Basis durchgeführte Aufarbeitung der Vergangenheit erfolgt ist. Hierzulande wurde immerhin das Anti-Doping-Gesetz 2007 beschlossen.


„Schwarze Schafe“ statt Systemfehler. Der Eifer der Sportbürokratie, ihre Vergangenheit kritisch zu durchleuchten, geht gegen null. Die übliche Taktik ist, korrupte Funktionäre und gefallene Athleten als „schwarze Schafe“ hinzustellen und dadurch die kriminelle Energie des Sport-Medien-Polit-Systems aus dem Blick zu nehmen.

Als im Frühjahr 2009 fünf Ex-DDR-Trainer gestanden, Dopingvergehen begangen zu haben, lobte der deutsche Leichtathletikverband ihr Geständnis und vereinbarte ihre weitere Mitarbeit. Innenminister Wolfgang Schäuble gab die Parole aus, es sei Zeit für eine Versöhnung zwischen Tätern und Opfern.

Der Hobbyradsportler Peter Sloterdijk lehnt Doping auch deshalb ab, weil es den Athleten, den Star, den Helden profaniere und aus einem gottähnlichen Wesen, das imstande ist, sich über die Schwerkraft hinwegzusetzen, einen „hundsgewöhnlichen Berufstätigen“ mache. Der Ruin der Sportidee, so Sloterdijk, sei nicht aufzuhalten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.10.2010)

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