Deutschland: Terrorverdächtiger wollte Islamisten freipressen

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Deutschland Terrorverdaechtiger wollte Islamisten(c) EPA (Achim Scheidemann)
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Ein 18-Jähriger soll hinter mehreren Drohvideos stecken. Die Anleitungen zum Bombenbau hat er sich im Internet besorgt. Experten warnen vor einer wachsenden Radikalisierung von Islamisten in Deutschland.

[Wien/Saarbrücken]Wochenlang wurde der mutmaßliche Terrorist Tag und Nacht observiert. Freitag um acht Uhr morgens schnappte die Falle zu: Mindestens zehn Mann hoch überwältigten den jungen Mann in der Nähe seiner Wohnung in Neunkirchen im Saarland. Alles sei blitzschnell gegangen, berichtete ein Augenzeuge der deutschen TV-Nachrichtensendung „Heute“.

Der 18-jährige Mann aus Kamerun wird verdächtigt, Bombenanschläge geplant zu haben und hinter mehreren Internet-Videos zu stecken. Darin wird mit Anschlägen in Deutschland gedroht, falls der im März zu zwölf Jahren Haft verurteilte Terrorist Daniel Schneider, Mitglied der „Sauerland-Gruppe“, nicht bis Ende November freigelassen und nach Afghanistan ausgeflogen werde. Der nun Verhaftete ist laut Staatsanwaltschaft ein Einzeltäter, Schneider sei eine Art Vorbild für ihn gewesen. Anleitungen zum Bombenbau habe er sich im Internet besorgt.

Schneider, ein islamischer Konvertit, hatte zusammen mit drei Komplizen verheerende Bombenanschläge gegen US-Einrichtungen in Deutschland geplant, die vermutlich Dutzende, wenn nicht hunderte Todesopfer gefordert hätten. Es war den Sicherheitskräften allerdings 2007 gelungen, den bereits beschafften Sprengstoff gegen ungefährliche Chemikalien auszutauschen.

Die geständigen Islamisten erwiesen sich in Haft als äußerst redselig und ermöglichten den Anti-Terror-Fahndern tiefen Einblick in das Rekrutierungs- und Ausbildungssystem militanter Gruppen.

Rege Reisetätigkeit in Terrorlager

Terrorismus-Experten und Geheimdienste warnen seit geraumer Zeit vor einer wachsenden Radikalisierung von Islamisten in Deutschland und von einer zunehmenden Reisetätigkeit in Terrorausbildungslager nach Afghanistan oder Pakistan. Die Route verläuft meist via Türkei und Iran. Als Hauptumschlagplatz gilt eine Moschee in der ostiranischen Stadt Zahedan, gelegen im Dreiländereck mit Pakistan und Afghanistan. Eine weitere Ausbildungsstätte ist der Jemen. Man weiß von Dutzenden Islamisten aus Deutschland, die in den vergangenen zwei Jahren solche Reisen unternomen haben. Und von einigen, die zurückgekommen sind. Die meisten wollen zwar in Afghanistan gegen die Nato-Truppen kämpfen, für al-Qaida und ähnliche Gruppen sind sie aber als „Schläfer“ in Deutschland viel nützlicher. Den Behörden fehlen allerdings die Ressourcen, alle potenziellen „Gefährder“ rund um die Uhr zu überwachen.

2009 änderten die deutschen Behörden ihre Strategie und versuchten, Ausreisen in Terrorlager von vornherein zu unterbinden. Das sei in 26 Fällen auch gelungen, sagte Jörg Ziercke, Chef des Bundeskriminalamts, im September dem ZDF. Wenn einem Islamisten dennoch die Reise in ein solches Lager gelingt, versucht man immerhin zu verhindern, dass er bei der Rückkehr ein Flugzeug nach Deutschland besteigt – wegen akuter Anschlagsgefahr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.11.2010)

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