Das Vorspiel in Rot-Grün

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Seit 2001 läuft ein Vorspiel, das in dieser Woche in eine politische Ehe zwischen Michael Häupl und Vassilakou münden wird. Die Rede ist von den rot-grünen Projekten in Wien. Eine historische Spurensuche.

Das Jahr 2001. Hilmar „Hump-Dump“ Kabas leitet die Wiener FPÖ, und in der Wiener VP regiert im Gegenzug der „Hilmar Kabas der ÖVP“ – der damalige Staatssekretär Alfred Finz. Bei den Grünen liefert sich der Realo Christoph Chorherr als Parteichef Flügelkämpfe mit den Fundis. Und bei der SPÖ feiert Michael Häupl die Wiedererlangung der absoluten Mehrheit und zelebrierte den Kampf gegen Jörg Haider.

Das Jahr 2001. Es war der Start einer jungen Liebe, der Beginn eines Vorspiels, das nun in den Hafen der politischen Ehe mündet. Es war der Beginn der rot-grünen Projekte, einer in Österreich ungewöhnlichen Zusammenarbeit. Denn obwohl die SPÖ wieder mit einer absoluten Mandatsmehrheit regierte, wurden die Grünen zur Zusammenarbeit eingeladen. Häupl nahm Anleihe bei Bruno Kreisky: Es sei eine Einladung an alle, ein Stück des Weges gemeinsam zu gehen.

Dass böse Zungen von einer kreativen Ausgebranntheit der Wiener Sozialdemokratie sprachen, die sich willige Grüne als roten Think Tank geholt habe, um die inhaltliche Leere auszugleichen, sei nur vollständigkeitshalber erwähnt.


Rollentausch. Diese 56 Projekte, die nun über neun Jahre gelaufen sind, haben Rot und Grün einander annähern lassen. In dieser Zeit wurden entscheidende Weichen für eine Koalition gestellt. Nicht zuletzt, weil die Grünen damit ihre Paktfähigkeit unter Beweis stellten. Zumindest für Michael Häupl.

„Diese rot-grüne Zusammenarbeit war für die jetzigen Koalitionsverhandlungen sicher kein Nachteil“, erinnert sich der damalige Klubchef Christian Oxonitsch, der auf SP-Seite für die Umsetzung der Projekte verantwortlich war: „Es gab eine Einladung auch an andere Parteien. Von der ÖVP ist aber wenig gekommen, die Grünen waren konstruktiv.“

Die Grünen unter Christoph Chorherr waren nicht nur konstruktiv, sondern zeigten förmlich altruistische Tendenzen: „Uns war es wichtig, dass grüne Ideen umgesetzt werden.“ Selbst um den Preis, dass diese Ideen als SPÖ-Erfolge verkauft wurden.

Heute ist Christian Oxonitsch Bildungsstadtrat und Christoph Chorherr Gemeinderat – während eine junge Gemeinderätin mit Migrationshintergrundnamens Maria Vassilakou, die sich für rot-grüne Projekte im Integrationsbereich engagierte, heute die Grünen führt und mit Häupl über eine rot-grüne Koalition spricht – weshalb sich Oxonitsch und Chorherr nun wieder gegenüber sitzen: als Verhandlungspartner eines Koalitionsabkommens, das morgen, Montag, seinen Feinschliff erhalten, und damit eine politische Premiere in Österreich einleiten soll – die Bildung einer rot-grünen Koalition auf Landesebene, die noch in dieser Woche präsentiert werden soll.


Biomassekraftwerk und Viennabikes.
Den Weg, den Häupl und Oxonitsch auf der einen, Vassilakou und Chorherr auf der anderen Seite, gemeinsam zurückgelegt haben, ist lange. Für die Legislaturperiode 2001 bis 2005 wurden 23 gemeinsame rot-grüne Projekte fixiert. Und auch umgesetzt. Danach kamen 33 gemeinsame Projekte bis zum Jahr 2010, von denen rund zwei Drittel umgesetzt wurden. Als Highlight sehen Oxonitsch und Chorherr ein Vorzeigeobjekt, gegen das es anfangs massive Widerstände von jenen gab, die es umsetzen sollten: das größte Biomassekraftwerk Europas, das im Juni 2006 in Simmering in Betrieb ging. Es wird mit Frischholz befeuert und versorgt 48.000 Wiener Haushalte mit Strom und 12.000 Wiener Haushalte mit Fernwärme – was der Stadt 144.000 Tonnen Co2 erspart (im Vergleich zu normalen Heizkraftwerken). Wobei die Beamten und auch die Verantwortlichen bei Wien Energie von dem Projekt anfangs alles andere als begeistert gewesen sein sollen. „Da wurde gesagt, das geht nicht, das funktioniert nicht, das kommt nicht“, erinnert sich Chorherr: „Es ist aber trotzdem gekommen.“

Als größter Flop gelten dagegen die Viennabikes – die Vorläufer der heutigen Wiener Citybikes, die als Gratisräder angepriesen, den Anteil des Radverkehrs in Wien deutlich erhöhen sollten. Nur, die Wiener nahmen den Begriff „Gratisfahrrad“ wörtlich und das Viennabike mit nach Hause – womit das System kollabierte und nach wenigen Tagen keine Gratisräder an den Standplätzen mehr zu sehen waren.

Scheitern hat einen Sinn, wenn man daraus lernt, gibt sich Chorherr pragmatisch. Die Sicherung der Viennabikes (Zwei-Euro-Münze als Pfand wie bei einem Einkaufswagen) wurde beseitigt, mit den heutigen Citybikes sind diese Probleme Geschichte – weil Besitzer sich per Bankomatkarte identifizieren müssen und entsprechend sorgsam mit dem Rad umgehen, nachdem sie dafür auch haften. „Es ist schlussendlich ein Erfolg geworden, weil dieses Wiener System auch in andere europäische Städte exportiert wurde und sich dort bewährt“, so Chorherr euphorisch.

In der Praxis erfreuen sich die Citybikes vor allem bei Jugendlichen großer Beliebtheit – vor allem nachts, für die Fahrt nach Hause, wenn zu viel getankt wurde, um mit Pkw oder Moped nach Hause zu fahren.

Andere Highlights?
Was blieb – neben Leuchtturm-Projekten wie dem 45 Millionen Euro teuren Biomassekraftwerk? Aus dem demokratiepolitischen Bereich der erste offene Wiener TV-Kanal Okto – wie Oxonitsch und Chorherr übereinstimmend meinen. Wobei es bei der Gründung Diskussionen gab, nachdem einige SP-Granden den TV-Sender gleich mit politischen Funktionären besetzen wollten. „Es war ein Kampf, bis dieser Sender wirklich parteipolitisch frei war“, meint Chorherr.

Warum von den 33 Projekten zwischen 2005 und 2010 nur rund zwei Drittel umgesetzt wurden, hängt mit personellen Wechseln und der „Chemie“ zwischen unterschiedlichen Persönlichkeiten zusammen. Umgesetzt wurden allerdings Projekte aus allen gesellschaftlichen Bereichen: Aufklärungskampagnen zum Thema Depression, der (jetzt im Winter aber geschlossene) Wiental-Radhighway, Projekte zur Frühförderung von Kindern, Geschäftsstraßenförderungen, der Ausbau von Wohnungen nach Passivhaus-Standard, die Finanzierung von Creative-Industries-Projekten, ein Forschungskindergarten (eines von Oxonitschs Lieblingsprojekten), die Frauenförderung, Anti-Diskriminierungsinitiativen im Bereich von Homosexuellen, etc. Ausgerechnet beim Projekt „Feinstaubfreie Baustelle“ gab es Sand im Getriebe. Eine Situation, die zumindest bei den bisherigen Koalitionsverhandlungen ausgeblieben ist.

2001
Bürgermeister Häupl greift auf den grünen Think Tank zu und vereinbart 23 Projekte mit den Grünen, die so ihre Regierungsfähigkeit beweisen wollen. Mit dabei: die junge Gemeinderätin Maria Vassilakou.

2005 Alle rot-grünen Projekte wurden umgesetzt, 33 neue Projekte vereinbart.

2010 Nachdem zwei Drittel der neuen Projekte umgesetzt sind, wird nicht über neue Initiativen gesprochen,sondern über die erste rot-grüne Koalition auf Landesebene in Österreich.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.11.2010)

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