Sie klagte, dass sie allen egal sei. Edvard Munchs „Frauen am Meeresufer“, Holzschnitt, 1898.
Spectrum

Nennen wir sie Lucy: Ein Bericht aus der Psychiatrie

Sie freue sich auf die Zeit draußen, sagte Lucy an ihrem letzten Tag in der Klinik. „Emotional stabil“ stand in der Krankenakte. Dann beging sie Suizid. Wie ist das möglich? Über den Kampf um das Leben einer jungen Frau.

Ich erzähle von Lucy. Lucy lebt nicht mehr. „Zu viele Tabletten“, sagt ihre Großmutter am Telefon. Ich kannte diese junge Frau, die natürlich nicht Lucy hieß, sie war eine Zeit lang meine Patientin, ich mochte sie. Ich denke, sie wäre damit einverstanden, dass ich über sie schreibe.

Lucy wurde von ihrer Freundin, bei der sie zuletzt wohnte, tot aufgefunden. „Ich schaffe es nicht.“ Diese kurze Nachricht hatte sie auf ein Stück Papier gekritzelt. Die Großmutter erzählte mir, dass Lucy nach ihrem Klinikaufenthalt wieder häufiger bei ihr war, und dass es ihr zunächst gut gegangen sei. Erst in den letzten Tagen, „da war sie wie früher“. Schlecht gelaunt, wegen Kleinigkeiten ist sie „explodiert“. Sie klagte über das Alleinsein, dass sie allen egal sei und ohnehin alles sinnlos sei. „Hätte ich etwas tun müssen?“, fragt mich die Großmutter. Wir vereinbaren, dass wir das Gespräch persönlich fortführen werden, und verabschieden uns. Unvermittelt fällt mein Blick auf das Foto vor mir auf meinem Schreibtisch. Meine Tochter, sie ist in Lucys Alter.

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