Bei Aborigines läuft die Zeit von Osten nach Westen

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Nicht alle Menschen leben im gleichen Raum bzw. haben das gleiche Konzept von ihm: Die Pormpuraaw, Indigene in Australien, nehmen ihn anders wahr als wir - und damit auch die Zeit: Die folgt dem Lauf der Sonne.

Nichts interessiert Menschen so sehr wie die Zeit, das am häufigsten gebrauchte englische Substantiv ist „time“, auch „day“ and „year“ liegen unter den ersten zehn; im Deutschen gibt es doch etwas noch Wichtigeres, hier führt „Prozent“, aber dann kommt „Jahr“, bald darauf „Uhr“. Dieses Instrument zeigt nicht nur die Zeit, sondern auch ein existenzielles Problem bzw. seine Lösung: Wir erleben alles in der Zeit, aber wir können sie nicht sinnlich fassen, nicht sehen oder riechen etc. Hier hilft die zweite Bedingung, in der wir leben und wahrnehmen, der Raum: Wir führen uns die Zeit räumlich vor Augen – etwa mit Uhren, vom Stundenglas bis zum Zifferblatt –, wir reden räumlich von ihr, sie eilt voran, wir blicken zurück, auf lange oder kurze Weile.

Aber nicht alle Menschen leben im gleichen Raum bzw. haben das gleiche Konzept von ihm: Wir zentrieren ihn ganz selbstverständlich um unseren Körper, der ist Bezugspunkt für das, was links oder rechts ist und hinten oder vorn. Die Pormpuraaw, Indigene in Australien, halten es ganz anders: Sie kennen kein „links“ und „rechts“, sondern ordnen sich in einen objektiven Raum ein, den der Himmelsrichtungen: „An deinem südwestlichen Bein sitzt eine Ameise“, heißt es da etwa, oder „Schieb bitte die Kaffeetasse etwas mehr nach Nordosten“. Ähnliches gibt es in anderen Sprachen – etwa in einem Drittel der 7000bekannten –, aber die Pormpuraaw belassen es nicht dabei, sie organisieren mit ihrer Vorstellung des Raums auch die der Zeit: Bei ihnen vergeht sie von Osten nach Westen, nicht wie bei uns von links nach rechts.

Das zeigten Experimente, die Lera Boroditsky (Stanford) und Alice Gaby (Berkeley) mit US-Amerikanern und Pormpuraaw unternahmen: In einem war auf Spielkarten ein Mensch in verschiedenen Lebensphasen abgebildet, die Testpersonen sollten chronologisch ordnen, von der Jugend zum Alter; in einem anderen symbolisierten Steine „gestern“, „heute“, morgen“ etc., sie sollten in der zeitlichen Folge nebeneinander gelegt werden. Dokumentiert wurde mit Video, und zur Mitte der Experimente bat der Mann an der Kamera, eine andere Körperposition einzunehmen, das Licht sei schlecht, die Testpersonen mögen sich ein Stück drehen.

Andere Himmelsrichtung, andere Zeit

Das war ein Trick, er änderte die Zuordnungsweise der US-Amerikaner nicht: Für sie läuft die Zeit immer von links nach rechts, so, wie sie schreiben (Wer hebräisch schreibt, von rechts nach links, bringt auch die Zeit in diese Ordnung, das weiß man aus früheren Experimenten). Pormpuraaw hingegen stellten um, wenn sie den Körper drehten, sie ordnen anders: Schauen sie nach Süden, läuft die Zeit von links nach rechts, schauen sie nach Norden, läuft sie von rechts nach links. Orientierung bieten immer der Lauf der Sonne und die Himmelsrichtung, in die das eigene Auge schaut. Mit der kennen sich Pormpuraaw aus, anders als US-Amerikaner. Von denen konnte nur ein Drittel halbwegs korrekt nach Norden oder Süden weisen, von den Pormpuraaw konnten es alle präzise (Psychological Science, 19.10.).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.11.2010)

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