Filmschau

"Kawoom!": Muskeln und Explosionen für alle

Da fliegen die Fetzen: Eine Szene aus "Death Wish 4: The Crackdown".
Da fliegen die Fetzen: Eine Szene aus "Death Wish 4: The Crackdown".(c) Filmarchiv Austria
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Das Wiener Metro Kino lädt ab 27.1. zu einem Wochenende im Zeichen des 1980er-Actionfilms - und bietet so Spektakelkunst in Reinkultur.

Im französischen Polizeifilm „Le Marginal“ springt die Hauptfigur, ein ob seiner „ungewöhnlichen Methoden” berüchtigter Kommissar, im Zuge einer Verfolgungsjagd von einem Helikopter auf ein Motorboot. Beide sind in voller Fahrt, die Kamera rast mit, kommt dem Geschehen immer näher. Bis wir erkennen, dass es sich beim Springenden um Jean-Paul Belmondo handelt – und nicht etwa um einen Stuntman.

Es war dem (zum Zeitpunkt des Drehs bereits 50 Jahre alten) Star – das einstige Gesicht der Nouvelle Vague und ein Idol des europäischen Autorenfilms – offenbar wichtig, zu beweisen, dass er selbst diese spektakuläre Bewegung ausführt, dass sein eigener Körper im entscheidenden Moment zum Epizentrum des filmischen Bildes wird. Und zum Ankerpunkt unserer Aufmerksamkeit.

Es ist nur einer von vielen stolzen Körpern, den die Filmarchivs-Retrospektive „Kawoom!“ (Kurator: Florian Widegger) ab 27. 1. an vier prall gefüllten Tagen im Wiener Metro Kino ausstellt. Zu sehen in zwölf Actionreißern, vorwiegend aus den 1980er-Jahren, vorgeführt mit historischen 35-mm-Filmkopien. Neben Klassikern wie Arnold Schwarzeneggers „Phantomkommando“ oder dem TV-Evergreen „Vier Fäuste gegen Rio“ (mit Bud Spencer und Terrence Hill) laufen hier auch genuine Obskuritäten. Etwa eine knallbunte taiwanesische Kiesgruben-und-Knallerbsen-Produktion – mit dem bizarren Titel „Frankensteins Kungfu-Monster“.

Schaulust, Sprengkraft, Sensation

Der Actionfilm, das ist in gewisser Weise die zweite Geburt des Kinos – einer Kunst, die am Jahrmarkt debütierte und im Geiste spät dorthin zurückfand. Seine Wurzeln hat er in brutalen Italowestern und asiatischen Kampfkunstknallern: Bruce Lee war der erste moderne Actionheld. In den Siebzigern als Ramschware verschrien und in billige Bahnhofskinos abgedrängt, eroberte das Genre ein Jahrzehnt später die Multiplexe. Erst mit dem Kalten Krieg endete seine goldene Ära, es zog auf den Videomarkt ab.

Insofern rekonstruiert „Kawoom” auch ein Stück unwiederbringlich verlorene Kinokultur. Nur logisch, dass die Mehrzahl der gezeigten Filme in deutschen Synchronfassungen laufen. Wie die 35-mm-Streifen mit ihren physischen Verschleißerscheinungen – als würde die Gewalt im Film auf das Material selbst überspringen – gehören die oft hemdsärmeligen Übersetzungen einfach dazu. Weil sich beim Actionfilm nichts zwischen uns und die Leinwand schieben darf: keine moralischen Ambivalenzen, keine komplexe Figurenpsychologie, keine Kulturklüfte. Und eben auch keine Untertitel.

Filmhistorisch betrachtet ist der Actionfilm nicht einfach eine Gattung neben anderen, sondern die Vollendung des klassischen Kinos der Attraktionen. Eine Art gefräßiges Übergenre, das ältere Genres aufgreift und aushöhlt. Actionfilme sind Kriegsfilme ohne Taktik, Polizeifilme ohne Ermittlung, Science-Fiction-Filme ohne „World Building“. Statt überkommener Inhalte setzt es Schauwerte: Verfolgungsjagden, Schießereien, Explosionen. Und jede Menge Muskeln.

Was der Actionfilm vor allem anderen hervorgebracht hat, ist ein besonderer Typus des Filmstars. Kein anderes Genre ist so stark auf ikonische Hauptdarsteller fixiert (zumindest in Amerika und Europa waren es in der Blütezeit meist Männer). Actionstars kommen oft von außen, sind Bodybuilder (Schwarzenegger), Schwimmsportler (Bud Spencer), Models (Michael Dudikoff). Und wenn sie doch eine Schauspielausbildung haben (wie Sylvester Stallone) oder eine Kunstkinovergangenheit (wie Belmondo), dann sieht man es ihren Filmen kaum an.

Fotogene Kamerakörper in fast schon unheimlicher Reinform sind sie trotzdem. Oder vielleicht gerade deshalb: Weil sie vor der Kamera erst einmal nichts anderes sein müssen (und wollen) als spektakuläre Physis und Statur. Es liegt nahe, die Überhöhung dieser allmächtigen Männerkörper als Abwehrreaktion einer patriarchalen Ordnung zu lesen, die seit den 1960er-Jahren in die Krise geraten ist. Und sich mit der Gefahr konfrontiert sieht, ihre privilegierte Position auf der Leinwand (und anderswo) zu verlieren. So gesehen wäre der Actionfilm das ultimative Anti-68er-Kino. Die arrivierte Filmkritik wollte im Genre jedenfalls auch zu dessen Hochphase nichts anderes erkennen als Regression und Polit-Zynismus.

Mit etwas historischem Abstand könnte es jedoch möglich sein, im Actionfilm beides zu sehen: Zeugnisse paranoider Maskulinität, die sich angesichts der Herausforderungen der Moderne in abstruse Allmachtsfantasien flüchtet. Und Monumente des reinen, naiven Bewegungsbildes – Filme, die unsere Schaulust so direkt und offenherzig adressieren wie nur weniges in der Filmgeschichte. Die liebevoll und kenntnisreich kuratierte Metro-Schau bietet beste Voraussetzungen dafür, einen solchen Blick einzuüben.

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