Gastkommentar

Sollen Richter entscheiden, wer Richter wird?

Die Forderung, die Justiz allein solle in Form der Selbstergänzung entscheiden, ist nicht der Weisheit letzter Schluss.
Die Forderung, die Justiz allein solle in Form der Selbstergänzung entscheiden, ist nicht der Weisheit letzter Schluss. [ Clemens Fabry ]
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Losgelöst vom Bekanntwerden koalitionärer Sideletter hält sich hartnäckig die Vorstellung, die Auswahl von Richtern durch politische Organe sei stets von Übel. Vor einer Flucht in richterliche Selbstergänzung ist aber abzuraten.

Die Veröffentlichung von schriftlich niedergelegten Nebenabsprachen der derzeitigen sowie einer bereits beendeten Koalitionsregierung hat einigen Staub aufgewirbelt, und es bleibt insbesondere dem politischen Betrieb und akademisch der Politikwissenschaft überlassen, derartige Praktiken einzuordnen. Hier soll es indes eingeschränkt um Postenbesetzungen in der Gerichtsbarkeit gehen, und zwar losgelöst von erfolgten Vereinbarungen und konkreten Personalia. Gerade bei der Bestellung von Richterinnen und Richtern ist die Vorstellung nicht aus der Welt zu bekommen, dass eine Auswahlentscheidung durch politische Organe stets von Bösem und die möglichst starke Einbindung von Richter- bzw. Expertengremien im Vorfeld durchgehend heilbringend sei. In diese Richtung sind auch die Vorstöße der richterlichen Standesvertretungen, aber auch politischer Akteure aus der Vorwoche zu verstehen.

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Unabhängigkeit unverzichtbar

Es ist richtig, dass Richter in Ausübung ihres Amtes unabhängig sind und diese Stellung eine wesentliche rechtsstaatliche Stütze darstellt. Gerichtsbarkeit und Unabhängigkeit sind tatsächlich unzertrennlich. Gleichzeitig steht unabhängige staatliche Aufgabenbesorgung in einem latenten Spannungsverhältnis zu demokratischer, auch politischer Verantwortlichkeit. Das ist akzeptabel, weil unabhängige Richter ausschließlich dem demokratisch erzeugten Gesetz verpflichtet sind und keine Weisungen, von wem auch immer, fürchten müssen. Herbert Schambeck hat treffend vom parlamentarisch beschlossenen Gesetz als zuverlässigster Verbindung der Demokratie zur Judikatur gesprochen.
Es ist jedoch eine Binsenweisheit, dass Gerichte, zumal Höchstgerichte, die sie bindenden Gesetze interpretieren müssen, wobei ihnen ein (je nach Fall unterschiedlich großer) Spielraum bleibt. Richterliche Entscheidungen sind daher nicht bloße Rechtsanwendung, sondern eben auch Rechtssetzung. Es wäre ein grobes Missverständnis, wenn man das Gesetz als vollständig determinierend ansieht, sodass die richterliche Hand von diesem gleichsam zu einem ganz bestimmten Auslegungsergebnis geführt wird. Die Art, wie der Spielraum ausgefüllt wird, hängt in den Worten von Wolfgang Hoffmann-Riem, ehemaliger Richter am deutschen Bundesverfassungsgericht, zwangsläufig auch von den Wertvorstellungen und Plausibilitätsstrukturen des handelnden Personals ab. Daran ändert die stets zu Recht geforderte höchste fachliche Qualifikation der Richter nichts.

Vor diesem Hintergrund erschließt sich die Bedeutung des Vorgangs der Richterbestellung ganz von selbst. Zwei grundsätzliche Modelle sind zu unterscheiden: 1. Politische Organe wählen insbesondere die Höchstrichter aus. 2. Die richterlichen Organe wählen selbst aus, was letztlich auf eine Selbstergänzung hinausläuft. Dazwischen bewegen sich zahlreiche Mischmodelle, die insbesondere eine – bindende oder nicht bindende – Vorauswahl durch richterliche Organe oder Experten und eine Letztentscheidung durch politische Organe vorsehen können.

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