Kolumne zum Tag

Eine ist immer schimmlig, das gehört nun mal dazu

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Die Sonne scheint, die Vögel zwitschern, in den Beeten tut sich was. Das Schöne sehen.

Das Unbehagen ist von Anfang an da, etwas stimmt hier nicht. Die Bilder zeigen eine Idylle. Aber unverdorben ist nur die Oberfläche. Als Leda, die Hauptfigur in „Frau im Dunkeln“ in ihrem Hotelzimmer auf einer griechischen Insel gedankenverloren nach einem Apfel im Obstkorb greift und zurückschreckt, kommt kein abgeschnittener Finger zum Vorschein, sondern Fäulnis. So subtil kann das Unheil herankriechen.

„Eine ist immer schimmlig“ , stellt die Freundin lapidar fest. Ob es nun Himbeeren sind, oder ein Sack Orangen, eine hat über Nacht ein Pelzchen angezogen und geht auf Schimmelfeldzug. Schnell kann sich aber auch das Schöne entwickeln, meint sie und zeigt auf die grünen Spitzen in den Beeten. Die waren gestern noch nicht zu sehen. Jeder bräuchte so eine positive Person in seinem Umfeld. „Ich bin so aus dem Gleichgewicht, ich kann nicht einmal auf einem Bein stehen“, sage ich nach der ersten Turnerei nach langer Zeit. „Dafür hast du ja zwei“, meint sie. Den Muskelkater lachen wir gemeinsam weg.

Damals, bei Tschernobyl, war ich älter als sie. Ich bin es noch immer, aber heute spielt das keine Rolle mehr. Damals machte es einen Unterschied, ob man 13 war oder 9 oder 17. Bei manchen ist die Erinnerung gut verarbeitet, andere macht sie nun stumm und ängstlich. Sie kaufen mehr Haltbares ein. Mehr Angst vor Strahlung als vor Krieg, wie absurd sei das denn, ereifert sich ein kluger Geist.

Angst ist nicht steuerbar. Aber man kann sie benennen, um mit ihr umzugehen. Darüber sprechen, was passieren kann, und was eher nicht. Es nicht abtun als lächerlich, es aber auch nicht größer machen, als es ist. Das viele Unausgesprochene ist wie ein Hintergrundrauschen. Irgendwann hört man dann die Vögel nicht mehr zwitschern. Aber sie tun es.

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