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Rosalía verkuppelt die Musikstile

Rosalía
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Die Spanierin Rosalía mischt auf ihrem Album „Motomami“ kühn Flamenco mit neuesten Dancefloor-Genres. Und zeigt sich mit einem Tattoo-Motiv von Valie Export.

Gegen den Körpereinsatz von Rosalía Vila Tobella, die 2019 unter dem Signet Rosalía mit ihrem zweiten Album „El Mal Querer“ Weltkarriere gemacht hat, wirkt Madonna beinah wie eine katholische Nonne. Auch im Booklet ihres neuen Albums „Motomami“ zeigt sich Rosalía nackt, in unterschiedlichsten, teils pornografisch anmutenden Posen. Ihr Körper ist von Schriftzeichen übersät, die Brustwarzen sind mit Kugelschreiberkritzeleien überdeckt. In der Heftmitte sieht man sie vornüber gebeugt. Gut sichtbar wird dabei ihr Oberschenkel-Tattoo, das eine Replika von Valie Exports berühmter Strumpfhaltertätowierung von 1970 ist.

„Body Sign Action“ nannte Export das in einer Zeit, in der fast nur Häfenbrüder und Matrosen tätowiert waren. „In der Tätowierung erscheint das Strumpfband als Zeichen einer vergangenen Versklavung“, schrieb sie selbst über diese Aktion: „Kleidung als Verdrängung der Sexualität, das Strumpfband als Attribut einer von uns nicht selbstbestimmten Weiblichkeit. (. . .) Das Strumpfband als Zeichen der Zugehörigkeit zu einer Klasse, die ein bedingtes Verhalten fordert, wird zur Erinnerung. Der weibliche Körper streift ab, wirft weg den Stempel einer Welt, die bis jetzt nicht die Welt der Frau war, um zu einer menschlichen Welt zu kommen, in der sie ihre weibliche Existenz selbst bestimmen kann.“

Gegen Mann-Frau-Rollenbilder

Erstaunlich, dass Rosalía, die im kleinen katalanischen Ort Sant Esteve Sesrovires aufgewachsen ist, davon Kenntnis erlangte. Umgeben von der Kultur des Machismo, dient ihr dieses Tattoo wohl als Abwehrzauber gegen Patriarchales. Die alte Flamenco-Kultur gibt ja klare Rollenbilder für Mann und Frau vor. Das lehnt Rosalía ab. Sie präferiert das Fluide. Auf ihrem ersten Album praktizierte sie den Flamenco noch recht traditionell. Aber bereits auf „El Mal Querer“ räumte sie mit Überkommenem auf. Nicht nur in puncto Wertehaltungen und Geschlechterfragen, sondern auch in der Musik. Sie beschäftigte zwar noch Palmeros, die traditionellen rhythmischen Flamenco-Klatscher, schaltete aber eine Roland 808-TR dazu, also jene Drum Machine, die den Detroit Techno mitgeprägt hat. Ein genuiner Akt der Rebellion.

Auf ihrem Opus „Motomami“ schraubt sie die Drehzahl höher. Mit fast religiösem Eifer mischt sie die Sounds wie Kraut und Rüben: Steriler Elektropop, schräger Reggaeton, derbe Hip-Hop-Beats und heiße Flamenco-Rhythmen, der gewagte Mix betört. Am konventionellsten tönt noch„La Fama“, in dem sich ein legerer Bachata-Rhythmus mit Electropop-Geblubber mischt. Rosalía und The Weeknd singen im Duett von den Bürden des Ruhms. „Es mala amante la fama“, heißt es da. Ja, der Ruhm mag ein lausiger Geliebter sein, dennoch ist er verführerisch. Seit Rosalía 2019 mit J Balvin mit dem Reggaeton-Song „Con Altura“ einen Welthit hatte, mag sie sich verständlicherweise nicht mehr aus diesen lichten Höhen zurückziehen. Und so peitscht schon durch den Opener „Saoko“ ein Reggaeton-Rhythmus, der von Industrialklängen undKlavierkaskaden umsäumt ist. Das Lied zelebriert den Zauber der Verwandlung, am Beispiel einer Dragqueen, die in den Momenten der Transformation am intensivsten bei sich ist.

Die Glut traditionellen Flamenco-Gesangs dominiert im karg instrumentierten „Bulerías“. Rosalía wehrt sich darin gegen Vorwürfe der Community, die ihr Verwässerung des alten Genres vorwerfen: Sie sei auch im Versace-Trainingsanzug eine echte Flamenco-Sängerin, singt sie. In einer weiteren Strophe rechnet sie die traditionellen Flamenco-Vokalisten Niña Pastori und José Mercé genauso zu ihrer Familie wie die Rapperinnen M.I.A. und Lil Kim. Purismus ist ihr fremd. Am meisten stört es die Flamenco-Ordnungshüter freilich, wenn Rosalía mit dem Autotune-Effekt werkt. Wie in „La Combi Versace“, wo ihr rauer Gesang mit den reduzierten Dembow-Rhythmen harmoniert. „Dembow“ hieß ursprünglich (1990) ein Dancehallsong von Shabba Ranks, dessen Rhythmus wurde in Panama und Puerto Rico zum Grundgerüst des Genres Reggaeton, das Elemente aus Hip-Hop, Reggae und Electro mischte. Rosalía hat den Reggaeton soundmäßig noch weiter differenziert. Sie gemeindet alles in ihre Musik ein, was ihr gefällt.

Kritik an „kultureller Aneignung“

Trotz – oder gerade wegen – ihres globalen Erfolgs lauert nun ein Backlash: Es gibt Stimmen, die ihr Unbehagen darüber äußern, dass eine weiße Katalanin so erfolgreich Afro-Latin-Sounds macht. Das Gespenst der „kulturellen Aneignung“ geistert in den Echoräumen der sozialen Medien. Kann denn Fusion Sünde sein? Nein. Sie liegt so gut wie allen Formen von Popmusik, Jazz und Weltmusik zugrunde.

Debatten darüber kann Rosalía auch gut privat führen: Sie ist mit dem dunkelhäutigen Raul Alejandro liiert, dem hippsten Rebellen des Reggaeton, der die neueste Ausgabe des amerikanischen „Rolling Stone“ ziert. Gemeinsam haben sie „Chicken Teriyaki“ konzipiert, ein herrlich rumpeliges Stück mit torkelnden Beats und nervigen Spielkonsolenklängen. Ebenfalls wie frühkindlicher Krach klingt das von kolumbianischen Rhythmen genährte „Bizcochito“, in dem Rosalías feministisches Selbstverständnis in der rhetorischen Frage „Are you the pimp or are you pimped?“ gipfelt. (Dezent übersetzt: Bist du die Kupplerin oder wirst du verkuppelt?) Ihre Antwort ist wohl klar.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.03.2022)

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