Filmkritik

„Ambulance“: So aufgeputscht soll ein Actionthriller sein!

Ambulance
AmbulanceUniversal Pictures
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Ein Krawallmacher? Ja, gewiss, aber ein sehr virtuoser. Plädoyer für Michael Bays neuen Film „Ambulance“.

Die Frage, ob Hollywoods (alt-)vorderster Krawallmacher Michael Bay in die geweihten Autorenfilmerhallen einziehen darf oder nicht, beschäftigt die Filmkritiker seit Langem. Einerseits weisen alle Arbeiten des Wahl-Floridianers ähnliche formale und inhaltliche Elemente auf, vom Hubschrauberflug im orangefarbenen Licht über Hurrapatriotismus hin zu hyperkinetischer Inszenierung. Andererseits gilt sein Kino vielen als grobschlächtig, plump und dämlich. Bay ist ein Trieb-Auteur. Seine Filme zielen immer auf Bauch und Schritt des Publikums, seltener aufs Herz, nie aufs Hirn. Der Effekt dieser tiefergelegten Tschingbum-Erfahrungen lässt sich dann auch weniger als Stimmung beschreiben wie bei ähnlich unverwechselbaren Kollegen wie David Lynch („Lynch-artige Atmosphäre“) oder Stanley Kubrick („kubrickianisch“) denn als Zustand: „Bayhem“. Das Kofferwort aus dem Namen und dem englischen Wort für Chaos, „mayhem“, ziert angeblich sogar die Lasche seiner Lieblingsturnschuhe. Es passt jedenfalls hervorragend zu seinem jüngsten Wurf. In „Ambulance“ rüstet er den gleichnamigen dänischen Film, auf dem sein Werk basiert, zum extravaganten Actionthriller um, der in seiner formalen Zuspitzung und frenetischen Inszenierung die Bay-Essenz in fast schon avantgardistische Höhen schraubt: pures Hochgeschwindigkeitskino zwischen Buster Keatons „Der General“ und Jan de Bonts „Speed“.

Ein Veteran wird kriminell

Im Zentrum steht mit dem Kriegsveteranen Will Sharp (Yahya Abdul-Mateen II) ein patriotischer Soldat, den das System, das er aufrechtzuerhalten mitgeholfen hat, fallen gelassen hat. Als Arbeitsloser kann er die lebensnotwendige Operation seiner Frau nicht bezahlen, also willigt er in einen riskanten Plan seines Adoptivbruders (Jake Gyllenhaal) ein. Der führt die kriminellen Machenschaften ihres Vaters erfolgreich fort und plant mit einem Banküberfall den Coup seines Lebens. Nachdem dieser recht spektakulär, also inklusive Schießerei und Explosionen, schiefgeht, begeben sich die beiden ungleichen Männer mit einem gestohlenen Rettungswagen auf die Flucht. Darin liegt ein schwer verwundeter und ausblutender Polizist, der von der gusseisernen Sanitäterin Cam (Eiza González) versorgt wird.

Die Kamera stürzt ab

Der Rest von „Ambulance“ ist eine mehr als anderthalbstündige Verfolgungsjagd, während der Bay immer wieder neue Waggons an seinen Hochspannungszug anhängt, darunter eine Notoperation über offenem Bauch im über Schlaglöcher bretternden Fahrzeug, ein Schusswechsel mit einem Drogenkartell und eine Raserei durch den Kanal des Los Angeles River, bei der sich zwei Hubschrauber an ihre Fersen heften.
Zusammengehalten wird all der „Bayhem“ von einem gut aufgelegten Ensemble, das den überraschend nuancierten Humor nutzt, um den Figuren etwas mehr Zuschnitt zu verleihen. Alldieweil bekämpft Bay die gewaltigen Logiklöcher des insgesamt zwei Haken zu viel schlagenden Drehbuchs mit seinen ganz eigenen Waffen. Immer wieder stürzt die Kamera, geführt von Spielfilmneuling Roberto De Angelis, gänzlich unmotiviert die Fassade eines Gebäudes entlang nach unten, saust im Affentempo über die Szenerie hinweg, während eine Figur in die Gegenrichtung läuft, oder sie strebt, arretiert an einer Drohne, zu etwas mehr Klarsicht inmitten des Chaos . . .

In Kombination mit dem oft häufig orientierungslos machenden Schnitt und Lorne Balfes technoider Filmmusik mit ihrem pumpenden Rhythmus entwickelt „Ambulance“ über weite Strecken einen eigentümlichen Sog, fast bis zur Trance. Der aufgeputschte Actionthriller ist jedenfalls Bays beste Arbeit seit dem herrlichen „Pain & Gain“ aus 2013. Irgendwie spürt man darin den Buben, der mit einer Super-8-Kamera filmte, wie er einen Spielzeugzug mit Knallkörpern zur Explosion brachte. Die Feuerwehr musste ausrücken, und der kleine Michael bekam Hausarrest. Der Rest ist, wie man so schön sagt, Filmgeschichte.

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