Spurensuche

Das Erbe der Familie Schindler

Das alte Café Schindler, wie es von Meriel Schindlers Familie gegründet wurde.
Das alte Café Schindler, wie es von Meriel Schindlers Familie gegründet wurde.(c) privat
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Die britische Juristin Meriel Schindler entdeckt ihre altösterreichische Familie – dazu gehören eine Unternehmerdynastie, ein Tanzcafé und der jüdische Arzt, dem Hitler vertraute.

Als Kurt Schindler am 6. Mai 2017 in seinem Cottage in der englischen Grafschaft Hampshire im Alter von 91 Jahren starb, hinterließ er nicht nur einen Haufen Schulden. „Im ganzen Haus türmen sich Berge von losen Dokumenten“, schreibt Meriel Schindler in der Einleitung zu ihrer Familiengeschichte „Café Schindler“, die von der Autorin diese Woche im Rathaus der Stadt Innsbruck vorgestellt wurde. Nur ein paar Schritte entfernt befindet sich „Das Schindler“, das Nachfolgelokal jener legendären Gaststätte, die dem Buch nicht nur den Titel gab, sondern in der Not nach dem Ersten Weltkrieg auch einen dringend benötigten Ort der Hoffnung und der Träume schenkte. Noch heute ist es eines der angesagtesten Restaurants und Nachtclubs in Innsbruck. Auch wenn die Gründerfamilie damit nichts mehr zu tun hat.

Das 1922 eröffnete Lokal in der Maria-Theresien-Straße im Stadtzentrum war der unternehmerische Höhepunkt von Meriels Großvater Hugo Schindler, der gemeinsam mit seinem Bruder Erich erfolgreich die Spirituosenfabrik der Familie führte. Vater Samuel, der aus Schlesien stammte, und Mutter Sophie, die aus der böhmischen Schnapsbrennerfamilie Dubsky kam, waren ihrem Bruder Leopold nach Innsbruck gefolgt und hatten hier von ihm gelernt, Schnaps, Essig, Säfte und Marmeladen industriell herzustellen. Einer ersten bescheidenen Ankündigung der Eröffnung 1881 folgte schon im Mai 1888 die stolze Mitteilung an „die geschätzten Geschäftsfreunde“ über die Übersiedlung in die Andreas-Hofer-Straße, wo ein mehrstöckiges Haus künftig Firmen- und Familiensitz zugleich war. Auf dem Gebäude stand in großen Lettern „S. Schindler“.

Es war ein gutes Jahr für die Familie: Schon im Jänner 1888 war Hugo als viertes Kind von Samuel und Sophie zur Welt gekommen. Er sollte später umsichtig die Geschicke des Unternehmens lenken, immer unter der strengen Aufsicht von Mutter Sophie. Ihre Schwester Hermine war indes nach der Heirat mit Sigmund Kafka aus Böhmen nach Linz gezogen. Bald trug der Familienbetrieb zur Herstellung von „Brandtwein, Konserven, Essig, Senf, Gurken“ das Gütesiegel eines „k. u. k. Hoflieferanten“. Schindler sagt: „Ich liebe die Vorstellung, dass Kaiser Franz Joseph persönlich vielleicht die von diesem Zweig meiner Familie gelieferten Gurken bevorzugte.“

Familie Dubsky hatte vier Kinder, darunter Lilli, die 1902 den jungen Arzt Eduard Bloch heiratete. In seiner Ordination erschien eines Tages eine „zerbrechlich aussehende, finanziell bedürftige Witwe“ im Alter von 47 Jahren mit Brustkrebs in fortgeschrittenem Stadium. Dr. Blochs Pflege konnte ihr Leid nur mehr lindern. Ihr Sohn kümmerte sich aufopferungsvoll um sie. Als die Witwe starb, schrieb Bloch, er habe „noch nie jemanden so sehr vom Schmerz zerrüttet gesehen“. Sein Name: Adolf Hitler. Die zwei Grußkarten, die er dem Arzt in Dankbarkeit schrieb, sollten seine Rettung vor dem Holocaust werden. Für andere Angehörige gab es kein Entkommen.

Der Familie Schindler wurde erst durch die Nazis ihr Judentum bewusst. „Sie waren prominente, reiche und voll assimilierte Mitglieder der Innsbrucker Gesellschaft“, schreibt Meriel Schindler. Die Geschäfte florierten, das Café Schindler war schon damals das Szenelokal Innsbrucks, man wohnte in schönen Häusern und fuhr große Autos. Vater Hugo war im Alpenverein, Sohn Erich fiel im Ersten Weltkrieg für den Kaiser. Den wachsenden Antisemitismus ignorierte man. Einige Familienmitglieder konvertierten zum Christentum, ein Cousin wurde sogar aktiver Nazi-Sympathisant.

All das fand ein brutales Ende mit dem „Anschluss“ 1938. Die Schindlers wurden gedemütigt, bestohlen, aus dem öffentlichen Leben gedrängt, bedroht und schließlich auch körperlich attackiert: In der Nacht des Novemberpogroms dringt eine Nazi-Bande in die Wohnung von Hugo Schindler ein, verletzt ihn schwer mit einem Schlitten und hinterlässt eine Spur der Verwüstung. Wenig später flüchtet Hugo mittellos nach Großbritannien, wo er Zuflucht findet, aber kein Zuhause. Seine in London geborene Enkeltochter Meriel Schindler wächst mit dem Augenzeugenbericht ihres Vaters Kurt über diese Nacht des Grauens sowie der Warnung auf: „Sagt niemals jemandem, dass ihr Jüdinnen seid.“

Allerdings: In der „Reichskristallnacht“ war Kurt Schindler längst mit seiner Mutter Edith im sicheren London. Wie seine Töchter leidvoll erleben musste, fantasierte er sich durch sein ganzes Leben. Er fabulierte von Verwandtschaften mit Franz Kafka, Alma Mahler-Werfel (geborene Schindler), dem Holocaust-Retter Oskar Schindler und auch dem Klimt-Modell Adele Bloch-Bauer. Seine Tochter Meriel, im Zivilberuf Juristin, geht allen Hinweisen in akribischer Kleinarbeit nach, um irgendwann resigniert festzustellen: „Wenn man das alles ernst nimmt, sind wir mit der halben Bevölkerung von Böhmen verwandt.“

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