Pfarren zittern um Existenz

Demonstration vor Kardinal Schönborns Büro wegen des Verlusts einer Kirche.

Demonstrationen gegen eine Maßnahme Kardinal Christoph Schönborns gibt es nicht alle Tage. Noch dazu auf dem Stephansplatz, vor den Bürofenstern des Wiener Erzbischofs. Am Samstag werden ab 10.30 Uhr Passanten Zeugen dieses höchst seltenen Ereignisses sein.

Aktivisten der Pfarre Neulerchenfeld in Wien-Ottakring wollen damit gegen die „Wegnahme“ ihrer Kirche protestieren. Kardinal Schönborn hat verfügt, die Kirche samt Pfarrhof den Serbisch-Orthodoxen zu schenken, gleichzeitig die katholische Pfarrgemeinde mit der wenige hundert Meter entfernten Nachbargemeinde Maria Namen zu vereinigen. Diese Entscheidung sei „wohlbegründet und unwiderruflich“, wie es in einer am Dienstag veröffentlichten Erklärung der Erzdiözese heißt. Darin wird auf ein deutliches Missverhältnis hingewiesen: Für 750.000 Katholiken existieren in Wien 172 Pfarrkirchen, für 150.000 serbisch-orthodoxe Christen hingegen drei kleine Gotteshäuser.

Die Neulerchenfelder wollen dennoch nicht verstehen, weshalb es ausgerechnet sie trifft. Tatsächlich hat sich in den letzten Jahren dort der Kristallisationspunkt einer starken polnischen Gemeinde gebildet. „Unsere Kirche ist jeden Sonntag bei der 11-Uhr-Messe gesteckt voll“, sagt Pfarr-Moderator Tadeusz Cichon. Laut letzter amtlicher Zählung der Messbesucher sind es 665 Seelen. Es soll katholische Kirchen der Erzdiözese geben, die bei der besucherstärksten Messe des Sonntags weit unter dieser Zahl bleiben. Der Geistliche ist mit den Protesten gegen die Pläne der Kirchenleitung solidarisch, an der Demonstration teilzunehmen, davor schreckt er aber zurück. Ein polnischer Priester tritt nicht öffentlich gegen einen Kardinal auf. Cichon diplomatisch: „Ich verstehe die Demonstranten. Sie wollen ihre Enttäuschung zum Ausdruck bringen.“


Allerdings spricht für die Aufgabe der katholischen Pfarre Neulerchenfeld, die es erst seit 1939 gibt, dass in diesem Gebiet eine hohe Zahl von Serben lebt. Und dass eben die künftige Heimatkirche in unmittelbarer Nähe liegt. Jedenfalls ist der Konflikt aber nur ein Vorgeschmack darauf, was in naher Zukunft noch auf die Erzdiözese zukommen könnte. Planungen, den syrisch-orthodoxen Christen im 10. Bezirk eine Kirche zu überlassen, sind schon weit gediehen. So manche Pfarre zittert schon: Wen trifft es als Nächsten?

dietmar.neuwirth@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.11.2010)

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