Sänger im Gespräch

"Die Luft sollte sich in Klang verwandeln"

Stuart Staples, Tindersticks
Stuart Staples, TindersticksJana Madzigon
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Anlässlich ihres 30-jährigen Bestehens touren die Tindersticks durch Europa. Ihr Weg wird sie in große Häuser wie die Londoner Royal Albert Hall und ins Pariser Le Grand Rex führen. Der Tourstart fand mit drei ausverkauften Konzerten im Wiener Theater Akzent statt. Die „Presse" sprach mit Sänger Stuart A. Staples über Applaus, den Krieg gegen die Ukraine und seinen Hut, der aus Wien stammt.

Sie sind die Großmeister der somnambulen Ballade. Also warum nicht das erste Konzert seit zwei Jahren mit einem Wiegenlied beginnen. Zunächst nur in ihrer skelettierten, aus den Herren Stuart A. Staples, David Boulter und Neil Fraser bestehenden Grundbesetzung, Behutsam wurde die prächtige Melodie von „Willow Lullaby“ entwickelt. Da ein paar Tupfer auf dem Mellotron, dort ein Streicheln über E-Gitarrensaiten. In der Mitte Staples, der sich geziert verrenkte, seinem Hut neue Dellen verursachte und die Worte beim so seltsam betont, dass auch Native Speaker ein Verständnisproblem bekommen dürften. Mit großer Lust verschluckte er Silben und betonte die übriggebliebenen Laute nach rein musikalischen Notwendigkeiten. Mit jedem Song kamen mehr Musiker auf die Bühne. Die wunderbare Geigerin Lucy Wilkins, der Trompeter und Saxofonist Terry Edwards, die Sängerin Gina Foster, alles alte Gesichter, die sich freudvoll durch 26 Songs arbeiteten.

Abgesehen von Songs wie „City Sickness“ lag der Schwerpunkt auf Liedern der letzten eineinhalb Jahrzehnte. Die Band hat ja zwei Leben. In den frühen Nullerjahren wäre sie beinahe zerbrochen. Nach ihrer Konsolidierung klingt ihre Kunst schöner denn je. Für die selbstverständlich zur Melancholie neigenden Fans war dieser fast zweieinhalbstündige Abend schlicht ein Hochgenuß. Vibraphon, Cello, Orgel, Rassel – Instrumente gab es viele, aber opulent wurde die Sache nie. Staples Sinn für Pause, schenkte stillen Szenarien wie „My Oblivion“ und „For The Beauty“ die richtige Dramatik. Poppig wurde es bei „Pinky In The Daylight“, funky beim treibenden „This Fire Of Autumn“. Auch die Coverversionen waren von hoher Delikatess. Ob das wehe „A Man Needs A Maid“ von Neil Young oder Peggy Lees tragischer Filmsong „Johnny Guitar“. „Can We Start Again?“ fragte Staples im gleichnamigen, munteren Song. Die Antwort lautet: jederzeit. Wie es ihm sonst geht, erzählte er der „Presse“ im Hotel Daniel.

Wie waren Ihre Gefühle nach dem ersten Tindersticks-Konzert nach mehr als zwei Jahren?

Gemischt. Da waren schon sehr viele gute Sachen, aber an manchem muß noch gefeilt werden. Die Freude, dass wir wieder gemeinsam spielen und auf Tour gehen können, überstrahlte so manches nicht so geglückte Detail.

Das Publikum war aber restlos begeistert. Könnte es nicht sein, dass sie zu perfektionistisch denken?

Das glaube ich nicht. Ich würde es anders ausdrücken. Für mich stellt sich das Musizieren als ein Bewohnen eines geteilten Raums dar. Es geht um eine Dynamik, die stets sehr labil ist. In Wien waren wir ja nur zehn, aber wir stocken im Laufe der Tour auf 25 Musiker auf. Da sind dann Winzigkeiten entscheidend.

„Applause is the beginning of abuse” proklamierte der englische Dichter Ted Hughes einmal. Sehen Sie das ähnlich?

Das ist eine heikle Angelegenheit. Manche Sänger drängt es schon früh auf die Bühne und sie nützen alles, was sie haben, um Effekt zu erzielen. Ich hingegen musste erst lernen, mich auf der Bühne wohlzufühlen. Wenn es um Entertainment geht, habe ich immer noch ein Problem. Mir geht es darum, etwas zu bauen und zu teilen.

Manche Künstler schwärmen davon, wie schön es sei, wenn sie ihren Song noch für sich allein haben. Ist das Veröffentlichen nicht eine Form von Kindesweglegung?

So krass würde ich es nicht bezeichnen. Ich teile meine Kunst sehr gerne. Mein Gefühl von Freiheit beginnt in dem Moment, wo ich das Lied für fertiggestellt halte. Ab da kann ich loslassen, ab da ist es zum Hörer unterwegs.

Sie haben für das 1.Weltkrieg-Museum in Ypres in Flandern komponiert. Wie haben Sie sich dafür vorbereitet?

Während eines Besuchs kam mir eine Idee, die den Leuten, die das Museum kuratieren, gefiel. Die Luft sollte sich in Klang verwandeln. Meine orchestralen Loops verändern sich für den Besucher auf seinem Weg durch die Ausstellung. Die Sounds beginnen sehr simpel, bauen sich dann auf und werden ziemlich intensiv.

Drückt der Krieg in der Ukraine auf ihr Gemüt?

Natürlich. Wie könnte es anders sein? Beim Krieg in Bosnien war ich noch jung. Er ging mir nicht so nahe. Ganz anders jetzt. Wir haben dieses Europa, in dem wir leben, immer für selbstverständlich erachtet. Das ist es leider nicht.

Für das neue Tindersticks-Best-Of-Album „Past Imperfect” haben Sie auch eines Ihrer Duette mit der jung verstorbenen Sängerin Lhasa De Sela ausgewählt. Wie erinnern Sie sich an sie?

Entdeckt habe ich sie 1997 über ihr erstes, spanischsprachiges Album „La Llorona“. Ich lebe ja in Frankreich und dort war sie sehr beliebt. Ich habe den Kontakt gesucht, wir einander kennen und schätzen gelernt. Drei Duette haben wir miteinander aufgenommen. Was für eine tolle Erfahrung das war! Seit ihrem Tod tu ich mir mit Duetten schwer.

Welches der Duette ist Ihrem Herzen am nächsten?

„That Leaving Feeling“. Vielleicht ist es nicht mein liebster Song überhaupt, aber die Aufnahmen dazu waren wahnsinnig schön. Meine Frau hatte damals Geburtstag. Sie und Lhasa waren dicke Freundinnen. Es war ein unvergessliches Wochenende in London. Und Lhasa begann dort auch, „I´m Going In“, einen ihrer größten Songs, zu schreiben. Ich habe eine Aufnahme davon, wie sie sich an diese Melodie herantastet und sie am Klavier spielt.

Sie trugen während ihrer Performance einen Hut, den sie offenbar recht unzärtlich behandeln. Wie kommt das?

Das ist ein sehr teurer Hut, den ich in Wien gekauft habe. Er verlangt danach, misshandelt zu werden.

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