Ivica Osim
Nachruf

Mit Ivica Osim verliert der Fußball einen Philosophen

Der legendäre Trainer Ivica Osim starb wenige Tage vor seinem 81. Geburtstag. Auf dem Platz ließ er bei Sturm das „magische Dreieck“ glänzen, er bestach mit tiefgründigen Interviews.

Wien/Graz. Er hat den Fußball um die Jahrtausendwende mit Bescheidenheit und Intellekt geprägt: Mit Ivica Osim hat Österreich einen der erfolgreichsten und auch berühmtesten Trainer, der je im Land gearbeitet hat, verloren. Legendär war seine philosophische Herangehensweise an den Sport, die regelmäßig für besondere Interviews sorgte. „Fußball ist praktisch das einzige Spiel, wo die bessere Mannschaft verlieren kann. Fußball ist sehr leicht, und alles, was leicht ist, ist auch schwer“, führte er beispielsweise aus. Der Horizont des studierten Mathematikers und Philosophen war immer breit und doch auf den Fußballplatz konzentriert. „Jeder Tag ohne Fußball ist ein verlorener Tag“, hat Osim einmal gesagt, und bis wenige Tage vor seinem 81. Geburtstag danach gelebt.

Erfolg bedeutete für den gebürtigen Bosnier stets mehr als die Anzahl der Trophäen im Schrank, er wollte, dass eine Mannschaft bewegt. Das tat Sturm Graz unter seiner Regie (1994-2002). Angeleitet vom Offensiv-Apostel glänzte der frühere Mittelständler bald mit Kombinationsfußball, unvergessenes Prunkstück der Mannschaft war das „magische Dreieck“ mit Ivica Vastic, Mario Haas und Hannes Reinmayr, das von Osim alle Freiheiten erhielt und dies in der Hoch-Zeit Ende der 1990er-Jahre mit spektakulären Partien am laufenden Band dankte.

Vorstoß in neue Sphären

Mit zwei Meistertiteln (1998, 1999) und drei Cupsiegen (1996, 1997, 1999) führte Osim Sturm in ungeahnte Höhen, und zeigte Fußball-Österreich neue Sphären auf. Dreimal spielten die Grazer in der Champions League auf (1998, 1999, 2000) und stießen beim letzten Mal sogar bis in die Zwischenrunde vor. Wenn damals das Stadion in Liebenau vor Enthusiasmus bebte, hielt sich Osim locker-lässig, beinahe desinteressiert an seiner Straßenbahnhalteschlaufe fest, die über der Trainerbank montiert war.

Mit nobler Zurückhaltung relativierte er Erfolg um Erfolg – und sorgte dafür, dass seine Stars nach Höhenflügen verlässlich wieder am Boden der Tatsachen landeten. Dem Meister des Understatements kam selbst in vermeintlich großen Glücksmomenten bestenfalls ein verschmitztes Grinsen aus. Mit dem extrovertierten Klubpräsidenten Hannes Kartnig verband ihn eine Art Hassliebe, die 2002 nach harscher öffentlicher Kritik am Trainer ihr Ende fand. Seine Trainerkarriere setzte Osim in Japan fort, erst bei JEF United und ab 2006 als japanischer Nationaltrainer. Dort erlitt er im Alter von 66 Jahren einen Schlaganfall – beim Fußballschauen vor dem Fernseher, das Ende seiner Karriere.

Friedensbotschafter trotz Trauma

Begonnen hatte Osim seine erfolgreiche Trainerlaufbahn einst in Sarajevo, danach übernahm er die hochtalentierte jugoslawische Mannschaft, führte sie ins WM-Viertelfinale 1990 und zur Qualifikation für die EM 1992. Doch der Ausbruch des Balkankrieges zog den Ausschluss der Mannschaft nach sich. Als während der Einkesselung Bomben auf seine geliebte Geburtsstadt fielen, trat Osim unter Tränen als Teamchef zurück. „Das ist das Einzige, das ich für die Stadt tun kann, damit ihr euch auch daran erinnert, dass ich in Sarajevo geboren wurde. Und ihr wisst, was dort geschieht.“

Das Trauma des Krieges sollte Osim sein Leben lang verfolgen, den Nationalismus verstand er nie. Seiner Heimat sollte er trotz allem noch einmal einen wertvollen Dienst erweisen. Als Chef eines Normalisierungskomitees gelang Osim 2011 die Aufhebung der internationalen Sperre des bosnischen Verbandes, drei Jahre später nahm das Land an der WM teil.

Peles Bewunderung

Mehr als die Hälfte seiner Spiele als Trainer von Željezničar, Jugoslawien, Partisan Belgrad, Panathinaikos Athen, Sturm, JEF United und Japan hat Osim gewonnen, angesichts dieser Bilanz geraten seine Leistungen als Spieler oft in den Schatten der Vergangenheit. „Strauß von Zeljo“ wurde er genannt, weil man seinen Fuß am Ball mit einer Komposition des berühmten Komponisten verglich. Obwohl er bei der EM 1968 das Finale zwischen Jugoslawien und Italien verletzungsbedingt verpasste, wurde er ins All-Star-Team der Endrunde gewählt. Auch als 1969 der FC Santos mit Pele in Sarajevo gastierte, um dort gegen eine Stadtauswahl anzutreten, war Osim verletzt. Doch Brasiliens Superstar pochte darauf, ihn als Gegner auf dem Platz zu sehen, also wurde der Mittelfeldmann fit gespritzt – und erhielt Peles Trikot mit der Nummer 10 als Andenken.

In Graz fand der als Sturms Jahrhunderttrainer ausgezeichnete Osim mit Ehefrau Asima (drei Kinder) eine „zweite Heimat“, sein Haus im Stadtteil St. Peter hatte er während der Pandemie kaum verlassen, zumal seine Mobilität schon länger eingeschränkt war. „Alles geht langsam, alles braucht seine Zeit“, erklärte er zu seinem 80. Geburtstag im Vorjahr, dem Fußball blieb er weiter vor dem Fernseher treu. Die fortschreitende Kommerzialisierung des Sports war ihm ein Dorn im Auge. Dass Osim nun just am 1. Mai, dem Gründungsdatum seines Herzensklubs, verstarb, bleibt eine letzte schwarz-weiße Anekdote.

(red)

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