Konzertkritik

Kiwanuka in der Metastadt: Pop-Strategien in einer „weißen Welt“

WIEN : KONZERT MICHAEL KIWANUKA
WIEN : KONZERT MICHAEL KIWANUKA(c) APA/EVA MANHART (EVA MANHART)
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Kann denn Retro Sünde sein? Nicht im Fall von Michael Kiwanuka, der bei seinem Konzert in der Wiener Metastadt auch aktuelle gesellschaftspolitische Probleme adressierte.

Unsichtbare, offenbar im Keyboard wohnende Bläser attackierten die laue Abendluft. Dann sangen die Girls hingebungsvoll ein paar La-Las zum sanft pulsierenden Bass. Dann erst setzte Michael Kiwanuka ein, mit drängender Stimme hangelte sich er in der Erinnerung weit zurück: „They'll watch you fall, break your heart, watch you bleedin'.“

Böse Erinnerungen an seine Jugend. Als „Black Man in a White World“, so ein anderer seiner Titel, musste er sich Strategien zurechtlegen. Irgendwann fand er einen neuen Blickwinkel. „Findin' out, it ain't really about playin' by the rules, baby, talk about living in denial.“ Das Leben im Modus der Verweigerung war eine gute Marschroute durchs Leben seiner Gegend, die natürlich nicht nur Sadisten und Rowdys bevölkerten. Immerhin die Kinks haben das Londoner Viertel Muswell Hill auf die musikalische Landkarte gebracht. Auch Kiwanuka, der mittlerweile 35-jährige Sohn von vor Idi Amin geflüchteten Einwanderern aus Uganda, hat sich früh der Musik zugewandt. Ihr konnte er sich besser anvertrauen als den Menschen. Deren Zuschreibungen überforderten ihn zunächst auch. Statt Soul oder Jazz zu spielen, beharrte er auf Folk und Rock. Lieblingsband: Led Zeppelin. Spät erst akzeptierte er Curtis Mayfield und Isaac Hayes als Rolemodels.

Erinnerung an Isaac Hayes

Das opulente Arrangement von „Living in Denial“ erinnerte an diesem Abend an Isaac Hayes' Cinemascope-Soul von Anfang der Siebzigerjahre. Wie Hayes hat auch Kiwanuka die eisernen Nerven, die es braucht, um die ruhigen Präludien und gefinkelten Interludien nicht nur auf Platte, sondern auch live zu zelebrieren. Gleichzeitig erzieht er damit sein Publikum. Sein Mischstil aus Folk, Soul und Rock verzichtet bewusst auf Aufmerksamkeitsbeschleuniger in Form von vordergründigen Effekten. Das forciert ein Slow Listening, ein langsames, nachhaltiges Hören. Tatsächlich spitzte die Menge in der ausverkauften Metastadt die Ohren, um die vielen leisen Stellen genießen zu können.

Das Repertoire setzte sich vor allem aus Liedern der letzten beiden Alben zusammen. Mit ihnen schaffte Kiwanuka den Übergang vom Folk in den reichhaltigen Mischstil, der ihn auch außerhalb Englands bekannt gemacht hat. Zur Genese haben zwei Londoner Produzenten maßgeblich beigetragen: Danger Mouse und Inflo, die immer dann gerufen werden, wenn es gilt, einer Band oder einem Künstler zu einem neuen Twist zu verhelfen. Danger Mouse hat dies etwa bei den Black Keys geschafft, Inflo bei Adele. Außerdem betreibt Inflo die bahnbrechende Black Music Band Sault, die seit zwei Jahren Maßstäbe punkto politisches Bewusstsein im Soul setzt. Auch Kiwanuka zeigt in seinen Songs Sinn für gesellschaftspolitische Probleme. In „Hero“ adressiert er sinnlose Waffengewalt. Auch in „You Ain't The Problem“ kommen Gewehre vor. Hauptthema aber ist Selbsthass. „I used to hate myself“, intonierte er gepresst wie einst Richie Havens: „You got the key. Break out the prison.“

Romantische Kulisse in Wien 22

Das Publikum hing ihm an den Lippen. Bei romantischen Szenarien wie „Hard To Say Goodbye“ genauso wie bei trotzigen Gebeten wie „Love & Hate“. Ewige Highlights wie „Cold Little Heart“ und „One More Night“ durften auch nicht fehlen. Die Metastadt in Stadlau gab eine gute Kulisse für diese schöne Seelenmesse ab. Die Ziegelbauten im Sonnenuntergang passten ideal zum Siebzigerjahre-Flair dieser Musik.

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