Album

"Special" von Lizzo: Ins Rampenlicht mit Bodypositivity

Lizzo
LizzoAB+DM
  • Drucken

Die R&B-Sängerin Lizzo, die als wichtigster neuer Superstar gilt, legt mit „Special“ ein Potpourri vor, das sinnlich und abwechslungsreich wichtige Anliegen transportiert.

Die Empfehlung, einen adipösen Menschen zu heiraten, weil es einem gut damit gehe, wird hierzulande eher selten ausgesprochen. In manchen anderen Kulturen wird körperliche Korpulenz hingegen mit positiven Werten wie Wohlstand und Sicherheit assoziiert. Tückisch ist die Situation in den USA: Arme können sich dort nur ungesundes Fast Food leisten. Schlägt dieses an, müssen sich Übergewichtige nolens volens mit der Häme ihrer Mitmenschen auseinandersetzen. So etwas kränkt nicht nur, es kann auch böse Diät-Fressanfall-Kreisläufe auslösen.

Wer Sorgen hat, hat auch Likör, wie Wilhelm Busch einst in seiner „Frommen Helene“ befand – aber nicht nur. Es gibt viele Formen der Tröstung, in diversen Zucker- und Fettkombinationen. Aus so einer Falle herauszukommen, das hat die Rapperin und R&B-Sängerin Lizzo nach Jahren der Wut und Trauer geschafft. Vor allem aber hat sie sich von der Kritik an ihrer Rundlichkeit nicht ihr Selbstbewusstsein nehmen lassen. Schon 2014 dreht sie ein TikTok-Video, in dem sie sich stolz entblätterte. So richtig in die Offensive ging sie 2019 auf ihrem dritten Album „Cuz I Love You“ – dafür ließ sie sich nackt fürs Cover ablichten. Als Bonus zur Platte gab zudem es ein beigelegtes Bild, auf dem Lizzo ihre in Goldflitter getauchte Üppigkeit angstfrei den Blicken preisgab.

Ihre „Bodypositivity“ – so der neumodische Name für körperliche Selbstakzeptanz – entwickelte Lizzo zügig zum flächendeckenden Geschäftsmodell. So entwickelt sie ihre Modelinie „Shapewear“, die mit formgebender Wäsche lockt. Zudem startete sie mit „Lizzo's Watch Out For The Big Grrrls“, eine TV-Castingsendung, in der sie beleibte Tänzerinnen für ihre Show sucht. Dabei vermeidet sie jegliche Form von Demütigung, wie sie sonst in solchen Shows üblich ist. Auch Deutschland, das in „Germany's Next Topmodel“ bis vor Kurzem strikt auf Magermodels setzte, segelt nun mit der im Sturm des Zeitgeists anstehenden Übernahme der Lizzo-Show opportunistisch unter der Diversity-Flagge. Der deutsche Name („Hier kommen Lizzos mollige Mädels“) ist allerdings ein bisserl furchtbar.

Erotik, „Fat Activism“ und Selbstikritik

Im Gegensatz zu Lizzos neuem Album „Special“. Das schon im Vorfeld veröffentlichte, sanft pulsierende Lied „About Damn Time“ wirbt mit einem heiteren Video, in dem die Sängerin im Sesselkreis einer Selbsthilfegruppe sitzt. Plötzlich zuckt es in ihrer linken Schulter – und sie verwandelt sich in eine Glitterprinzessin: „It's bad bitch o'clock!“. Mit luftiger Eleganz, die überrascht, wirbelt sie herum und bekennt: „I'm still flirty.“ Gleich brauche sie „a sentimental man or woman to pump me up“.

Mit dem Song „Girrrls“ glückte ein kantiger Teeniekracher, für den Lizzo mit Benny Blanco zusammenarbeitete – einem Mann, der für Klassiker wie Katy Perrys „I Kissed A Girl“ verantwortlich zeichnet. Auch hier setzt Lizzo auf Erotik, rollt die Szene auf mit Ansagen wie: „We CEO's and dancin' like a C-E-ho“ – eine positive Umdeutung des abschätzigen Rap-Begriffs „Ho“ (Schlampe). Erotisch geht es auch im musikalisch etwas zu glatten „Everybody's Gay“ zu. Um ein Uhr nachts, zu jener Stunde, die sie als „demon time“ tituliert, ist viel möglich. „We can take our masks off, we can all ball and parlay.“

Zwei Stunden später fallen dann sämtliche Hemmungen. „At 3 a.m. my freak come out of the cage.“ Souverän surft Lizzo auf hippen Themen wie „Fat Activism“ und „Diversity“, ist aber durchaus selbstkritisch, was die Kommerzialisierung ihrer Selbstliebe anlangt: „Es ist einfach so gekommen. Ich will schon vermitteln, dass Selbstliebe ein ,Fuck You‘ ans System ist, aber nicht Leute zwingen, Freude vorzuheucheln.“

Das neue, vierte Album ist jedenfalls sinnlich und sehr abwechslungsreich. Lizzos Gesellschaftskritik ist mit viel Humor unterfüttert. Immer noch zum Schmunzeln ist ihr Auftritt vor drei Jahren in der Jonathan-Ross-Show: Da spielt sie Querflöte und twerkt wild, ehe sie in lautes Lachen ausbricht. Ihr Jubel hält an. Nach zehn Jahren im Underground ist sie nun der Superstar der Stunde. Verdientermaßen.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.