Islamische Gemeinschaft: Höchstrichter kippen Verbot für Konkurrenz

Argumentation des Kultusamts, dass es nur eine islamische Gemeinschaft gebe, verstoße gegen Verfassung und Menschenrechte.

Wien/Eko. Die Wiener Aleviten haben mit ihrer Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof (VfGH) recht bekommen – die Ablehnung ihres Antrags auf eine eigene Bekenntnisgemeinschaft widerspricht der Verfassung. Das Kultusamt hatte argumentiert, dass es mit der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ) bereits eine Vertretung der Muslime gebe. Und im Islamgesetz sei nur eine solche vorgesehen.

Gegen diese Auslegung argumentierte nun der VfGH: „Nirgends in den einschlägigen österreichischen Gesetzen steht, dass es nur eine einzige islamische Religions- bzw. Bekenntnisgemeinschaft geben darf.“ Im Gegenteil – eine solche Ansicht verletze sogar Artikel 9 der Europäischen Menschenrechtskonvention (Recht auf Religionsfreiheit). Gerade am Fall der Aleviten lässt sich dieses Problem deutlich illustrieren – denn die IGGiÖ selbst spricht ihnen die Zugehörigkeit zum Islam ab. Was bedeutet, dass die Aleviten bisher weder von einer Religionsgemeinschaft vertreten werden noch eine eigene gründen konnten.

Eine automatische Anerkennung als Bekenntnisgemeinschaft ist mit dem VfGH-Spruch aber nicht verbunden. Das dem Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur unterstellte Kultusamt muss nun auf dieser Basis ein neues Verfahren durchführen und eine Entscheidung treffen. Auch eine Ablehnung ist wieder möglich – nur dürfte die dann nicht mit dem Argument erfolgen, dass in Österreich bereits eine „Islamische Glaubensgemeinschaft“ existiert.

Gute Chancen auf Anerkennung

Was die übrigen rechtlichen Voraussetzungen angeht, scheinen die Aleviten allerdings gute Karten zu haben. Denn die gesetzlich vorgeschriebene Mindestzahl an Anhängern – zwei Promille der Bevölkerung, also etwa 16.000 Menschen – dürfte die Gruppe locker aufweisen. Der „Kulturverein von Aleviten in Wien“ besteht – laut eigenen Angaben – aus rund 60.000 Anhängern. Klären muss das Kultusamt nun vor allem die Frage, ob die alevitische Lehre ausreichend unterschiedlich zum sunnitischen Islam ist, was durch die ablehnende Position der IGGiÖ allerdings naheliegt. Und schließlich bleibt noch die Frage, ob sich die Aleviten nun islamisch nennen dürfen oder nicht.

Was Aleviten von anderen Muslimen unterscheidet: Es gibt weder Moscheen noch Kopftücher, auch die fünf Säulen des Islam (Glaubensbekenntnis, Gebet, Pilgerfahrt nach Mekka, Fasten, Almosen) haben für sie keine Bedeutung. Innerhalb der Aleviten gibt es aber unterschiedliche Vorstellungen, ob man sich nun als Moslems sieht oder nicht. Denn neben dem Antrag der Wiener Aleviten hat die „Föderation der Aleviten“, der bundesweite Dachverband der Glaubensrichtung, einen fast wortidenten Antrag auf staatliche Anerkennung eingebracht – nur ohne den Zusatz „islamisch“. Dieses Verfahren ist derzeit ruhend gestellt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.12.2010)

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