Kolumne zum Tag

Gefühlt wird der Begriff „gefühlt“ viel zu häufig verwendet

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Manche Wörter entfalten ihre Wirkung nur dann, wenn sie selten und wohlüberlegt eingesetzt werden.

Nach einer freien Woche mit (zu?) intensiven sozialen Kontakten komme ich nicht umhin, diese Wahrnehmung mit Ihnen zu teilen. Vielleicht ist es Ihnen ja auch schon aufgefallen: Wer keine konkreten Angaben machen kann, Recherchen scheut, eine erfundene Geschichte rechtfertigen will oder einfach nur einen Narren an dieser Formulierung gefressen hat, greift allzu gern auf das Wort „gefühlt“ zurück.

„Gefühlt sagen in Interviews alle Fußballer das Gleiche.“ „Gefühlt sieht jede Altstadt in Italien gleich aus.“ „Gefühlt stellen alle Journalisten dieselben Fragen.“ „Gefühlt habe ich schon monatelang kein gutes Gespräch geführt.“ „Gefühlt läuft ,Forrest Gump‘ alle paar Tage im Fernsehen.“ „Gefühlt war der Sommer vor fünf Jahren viel heißer als der jetzige.“ „Gefühlt sind gerade alle Influencer in Istanbul.“ „Gefühlt hat Westlife beim Wembley-Konzert am Samstag fünf Zugaben gegeben.“ Es waren nur zwei, ich war dabei.

„Gefühlt“ ist das deutsche „literally“. Ich kann es nicht mehr hören. Bestimmte Wörter erfüllen ihren Zweck nur dann, wenn sie wohldosiert zum Einsatz kommen. „Quasi“ gehört auch dazu. Oder „ehrlich gesagt“. Oder „eigentlich“. Oder „gewissermaßen“. Sie dürfen ebenso wenig willkürlich eingestreut werden wie Stoppbälle beim Tennis oder die „Würfelnummer“ beim Tanzen – Sie wissen schon, diese Handbewegung, die das Würfeln simuliert und durch den Film „Beim ersten Mal“ mit Seth Rogen berühmt wurde. Selten und in den richtigen Momenten angewendet kann dieser Move den Star des Abends aus Ihnen machen, bei inflationärem Einsatz hingegen ist er zum Fremdschämen.

So ähnlich verhält es sich auch mit dem Einsatz von „gefühlt“. Dieser Begriff macht eine falsche Aussage nicht wahr, eine belanglose nicht relevant, eine langweilige nicht lustig. In den allermeisten Fällen ist es das, was es ist: ein störendes und unpassendes Füllwort. Man sollte damit umgehen wie mit Knoblauch beim Kochen. Es also am besten nur dann verwenden, wenn man mit sich selbst redet.

E-Mails an: koeksal.baltaci@diepresse.com

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