Gastkommentar

Nun sag, wie hast du's mit der Nato?

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General Sun Tsu hat vor 2500 Jahren einen Klassiker über die Kriegskunst geschrieben. Was wir heute daraus lernen können.

Wahrhaft siegt, wer nicht kämpft, heißt es in der Lehre „Über die Kriegskunst“ des chinesischen Generals Sun Tsu rund 500 vor Christus. Und weiter: „Die Kunst des Krieges wird von fünf Gegebenheiten bestimmt, welche stets gleich bleiben. Diese Gegebenheiten aber heißen: Das Gesetz der Moral, Himmel, Erde, der Kommandant, Methode und Disziplin“ (1.1-4). Gilt das nicht auch für die „Kunst des Friedens“, wie von Ilija Trojanow in den „Tonalities of Peace“ anlässlich der Eröffnung der Salzburger Festspiele im Juli meisterlich vorgetragen?

Die Autorin

Ursula Werther-Pietsch(geb. 1964) ist Privatdozentin für Internationale Beziehungen an der Universität Graz. Die zum Ausdruck gebrachte Meinung ist ausschließlich ihre eigene. Ihr neues Buch: Ursula Werther-Pietsch (ed.), Envisioning Peace in a Time of War. The New School of Multilateralism, Facultas Verlag, im Erscheinen.

Bleiben wir zunächst bei den dunklen Künsten. Der bevorstehende Nato-Beitritt Finnlands und Schwedens hat auch bei uns die altbekannte Debatte um den Status der Neutralität Österreichs entfacht. Trittbrettfahrer beider Seiten, der Beitrittswilligen wie der Kritiker, rasseln mit Argumenten. Wenn nicht jetzt, dann nie, heißt es; entweder Beitritt in einem Schwung oder immerwährende Eigenständigkeit um jeden Preis. Die Fronten sind abgesteckt, aber sind sie das wirklich? Ist da nicht doch ein Stück Bewegung, das durch ein Referendum lukriert werden könnte? Handelt es sich gar um eine Generationenfrage?

Der Kreis rund um den offenen Brief an den Bundespräsidenten diskutiert jedenfalls schon heftig. Ob es für den Adressaten opportun ist, darauf im heißen Wahlkampf zu reagieren, ist fraglich. Nehmen wir uns aber selbst einfach Zeit für ein paar nicht so einfache Argumentationsketten.

Neue sicherheitspolitische Lage

Die maßgebliche sicherheitspolitische Lage hat sich gegenüber der Unterzeichnung des Staatsvertrages 1955 zweifellos wesentlich geändert. Integrale Garanten der österreichischen Neutralität sind zwischenzeitlich zu Aggressoren geworden. Zeitzeugen können mit Hinweis auf den politischen Kern à la Bruno Kreisky ein beredtes, jedoch langsam verblassendes Zeugnis davon ablegen, zu welchem Zweck diese bindende völkerrechtliche Absprache erfolgte. Neutralität als Telos, vielfach dynamisch interpretiert, überschrieben und in umfassende Vertragswerke eingebettet, ist jedoch nicht nur historisch-zeitgeschichtlich definiert.

Die neue geopolitische Herausforderung und das in Entstehung befindliche globale Gleichgewicht erlauben auch einen „Blick über den Tellerrand“ („Wiener Zeitung“, 20. 5.). In ein, zwei Jahren werden wir sehen, ob das Schlamassel eines neu präsidierten Amerika, eine ausgehungerte russische Dampfwalze, listige chinesische Innovation, Perseiden von neuen Allianzen unser Weltbild – und damit die Gegebenheiten von „Himmel und Erde“ – verändert haben. Bleibt zu hoffen, dass die Weisheit des Sun Tsu, dass es „kein Exempel gibt, dass ein Land Gewinn gezogen hätte aus einem langen Krieg“ (2.6), sich auch hier bewährt. Wie können wir uns darauf vorbereiten, also „Kommandant, Methode und Disziplin“ optimieren?

Zweifellos, und das vereint Nato-Befürworter wie -Gegner, wäre es hoch an der Zeit, die Versäumnisse der Vergangenheit punkto Ausstattung und Organisation des Bundesheeres wettzumachen. Schließlich gibt es die Aufträge aus dem Regierungsübereinkommen und das Wort des Bundespräsidenten, der wie erinnerlich im gleichen Atemzug eine Stärkung der österreichischen Diplomatie gefordert hat. Dazu gehört meines Erachtens aber auch die klare Positionierung im EU-Verband, z. B. durch die industriepolitisch vorteilhafte Beteiligung am Programm für europäische Drohnen oder dem Aufbau von Offensivkapazitäten im Cyberbereich. Aber hier beginnt schon das Dilemma. Ist Europa militärisch stark genug, um künftig seine strategische Autonomie leben zu können? Ein solcher Weg würde mit einer prominenteren Rolle der EU im Sinn eines globalen Trilateralismus einhergehen. Das Szenario wirft jedoch früher oder später auch die Frage nach europäischen Atomwaffen auf – eine offene Flanke, die bei einem allfälligen Nato-Beitrittsreferendum nicht unterschätzt werden sollte.

Im Boot mit den USA

Natürlich stoßen wir bei diesem Gedanken gleich wieder auf den großen Bruder USA, ohne den nichts geht. Auch „wertetechnisch“ sitzen wir im gleichen Boot. Ein latenter amerikanischer Isolationismus ist dennoch einzukalkulieren, Vorsicht, zumindest aber Aufmerksamkeit geboten. Ebenso aufmerksam sollten die EU-Partner das chinesische und russische Engagement in Afrika, Indien, Pakistan, Türkei beobachten. Die jüngste Promotion-Tour des russischen Außenministers Lawrow, Helfershelfer im Wettrüsten zu gewinnen, steht gegen ein „Macron-Solo“ auf EU-Seite im ehemaligen westafrikanischen Hinterhof Frankreichs. Ganz abgesehen von einer gemeinsamen Haltung zum Iran und dessen Rohstoffressourcen oder einer „Out of Area“-Aktion nach Art. 5 des Nato-Vertrags im Fall Taiwan. Eine enge Begleitung des Nato-Bündnisses nach Vorbild der Schweiz, kein Beitritt per se, sowie die behutsame Vertiefung der Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit mit der EU liegen für Österreich daher nahe. Ebenso wie die Beschäftigung mit Ziel, Mitteln und Optionen von Verteidigung. Für mich bedeutet die Aufrechterhaltung der Neutralität dabei, nach dem Prinzip der „Vorzüge taktischer Vielfalt“ (8.4) zu handeln und sinnlose Niederlagen zu vermeiden (4.1).

Die Kunst des Friedens

Und damit zu den hellen Köpfen. „Die Kunst des Krieges ist für den Staat von lebenswichtiger Bedeutung“ (1.2), so die Intrada Sun Tsus in seinem Klassiker. In der Tat hat das für Strategiebildung gut organisierte „militärische Lager“ gegenüber friedenspolitisch Engagierten den Sun-Tsu-Vorteil von „Methode und Disziplin“. Versprengt in menschenrechtlichen Gefilden, in den Tiefen des Völkerrechts oder bei nicht staatlichen Mediationsübungen kann die zersplitterte friedenspolitische Zivilgesellschaft oft nicht kräftig zum Argument „ausholen“. Aber es gilt: Mehr sein als scheinen und dem „Gesetz der Moral“ entsprechen − in den Worten des Kriegskünstlers: „Den Sieg nur dann zu erkennen, wenn alle anderen ihn zu sehen vermögen, ist wahrlich kein Fingerzeig für eine großartige Leistung“ (4.8).

Das ist auch das Credo von zehn Essays im Buch „Envisioning Peace in a Time of War. The New School of Multilateralism“, mit dem wir im Verborgenen eine Kombination von menschheitszentriertem Ansatz mit realistischer Geopolitik vorbereitet haben: Eine Welt-Netz-Ordnung bilden, die Europäisierung Russlands unterstreichen und Verbündete für eine Erneuerung des globalen Friedenskonsensus gewinnen können bedeutende Schritte sein, um die letzten Reste der Europäischen Sicherheitsordnung zu retten. Um mit Wolfgang Petritsch zu sprechen: Wir suchen zwischen Blöcken und Polen nach einer neuen friedensbildenden „Grand Strategy“, einem Friedensparadigma, das von Resilienz und Gerechtigkeit geprägt ist − und erscheinen rechtzeitig zum Europäischen Forum Alpbach.

Was nehmen wir uns von General Sun Tsu mit? Gut vorbereitet in etwas hineinzugehen, ob Krieg oder Frieden. Lassen Sie uns, neben der Verteidigungs- und Sicherheitsdebatte, also gemeinsam über eine „Wiener Werkstätte“ des Multilateralismus nachdenken.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.08.2022)

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