USA

Die Signale des Anleihemarktes

Der Markt für Treasuries gilt als einer der entwickeltsten der Welt. Wer ihn versteht, kann Kursbewegungen vorab erahnen. Wie die aktuellen Renditen einzuordnen sind und was sie für Investoren bedeuten.

New York. Die Amerikaner lieben Football, und das gilt auch für viele Händler an der Wall Street. Gern ordnen sie deshalb verschiedene Marktsegmente sportlich ein, und ein Vergleich geht in etwa so: Der Markt für Staatsanleihen steht ganz oben, die NFL (National Football League) sozusagen, während der herkömmliche Kleininvestor College Football ausübt. Dritte Division, bestenfalls. Auf Europa und Fußball umgelegt: Anleihehändler spielen in der Champions League, private Aktienhändler irgendwo in der Regionalliga.

Das mag überspitzt formuliert sein, doch besteht wenig Zweifel daran, dass der Markt für US-Treasuries als einer der entwickeltsten der Welt gilt. Wenn Fed-Chef Jerome Powell wissen will, was an den Börsen wirklich los ist, blickt er kaum auf Aktienindizes und schon gar nicht auf Bitcoin oder einzelne volatile Titel wie Tesla oder Game Stop. Vielmehr analysiert der Notenbanker die Renditen für US-Staatsanleihen. Denn er weiß: Wenn die Aktionen der Anleihehändler nicht mit den Vorhersagen der Zentralbank zusammenpassen, dann ist Feuer am Dach.

Powell haute auf den Tisch

Die enorme Bedeutung von Treasuries ergibt sich aus der Größe des Marktes. Laut der Interessenvertretung Securities Industry and Financial Markets Association (SIFMA) wechseln pro Tag Treasuries im Wert von 640 Mrd. Dollar den Besitzer. Das tägliche Volumen dieses Marktes übersteigt die jährliche Wirtschaftsleistung Österreichs. Das Handelsvolumen von Apple-Aktien liegt im Schnitt bei zwölf Mrd. Dollar pro Tag.

Wenn die Fed nun Zinserhöhungen vorhersagt, um die Inflation zu bekämpfen, muss sie davon ausgehen können, dass die Renditen für Treasuries – vereinfacht ausgedrückt – im gleichen Ausmaß ansteigen. Sonst wäre die Geldpolitik wirkungslos. Eine Entkoppelung der Renditen von den Prognosen der Fed bedeutet, dass die klügsten Köpfe an der Wall Street den Worten der Zentralbank keinen Glauben schenken. Sie wetten gegen die Fed, heißt es dann, und für eine funktionierende Demokratie mit einer unabhängigen Zentralbank ist das nicht gut.

Erste Anzeichen dafür waren während der Sommerrallye an den Märkten zu beobachten. Auch wenn die Notenbanker von Powell abwärts stets betonten, dass die Bekämpfung der Teuerung oberste Priorität habe und die Zinsen weiter steigen werden, wollte der Anleihemarkt das nicht mehr so recht glauben. Der beste Indikator dafür ist die Rendite für zweijährige US-Papiere. Sie sank Anfang August auf 2,8 Prozent, obwohl die Fed einen Leitzins von knapp vier Prozent über ebendiesen Zeitraum vorhergesagt hatte. Das befeuerte die Aktienmärkte, weil niedrigere Zinsen Aktien attraktiver machen.

Powell hatte also gar keine andere Wahl, als während seiner Rede in Jackson Hole Ende August sprichwörtlich auf den Tisch zu hauen. Jeder Fed-Chef würde an Glaubwürdigkeit verlieren, wenn er es hinnähme, dass der Anleihemarkt gegen ihn wettet. Also rückte Powell aus, um mit Nachdruck zu betonen, dass der Kampf gegen die Inflation noch lang nicht gewonnen sei und die Zinsen wie geplant steigen werden. Jetzt gehen die Märkte für das Fed-Treffen in der zweiten Septemberhälfte wieder großteils von einer Zinserhöhung um 0,75 Prozentpunkte aus.

Investoren, die die Hintergründe der Fed-Entscheidungen und der Bewegungen der Renditen von Staatsanleihen verstehen, können Schlüsse für ihre Entscheidungen ziehen. Anleihehändler signalisieren manchmal bereits im Voraus, dass etwas im Busch ist. Wer im Juli die Kursanstiege an den Börsen mit den Bewegungen der Renditen für Treasuries verglich, konnte erahnen, dass diese Aktienrallye so nicht weitergehen wird – sofern die Fed keinen völligen Richtungswechsel vollzieht, wovon nicht auszugehen war.

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