Morgenglosse

Mit einem Anti-Helden ist sogar Schach plötzlich hip

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Symbolbild(c) IMAGO/VWPics (Nano Calvo)
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Ausgerechnet der Betrugsskandal um US-Jungstar Hans Niemann hilft einem Sport aus seinem verstaubten Image.

Über sieben Stunden dauerte 2018 das Live-Erlebnis im abgedunkelten Zuschauerraum (das Handy abgeschaltet im Plastiksackerl verwahrt) bei der Schach-WM in London, auf der Bühne hinter schalldichtem Glas saßen zwei Männer (Magnus Carlsen und Fabiano Caruana) und dachten nach. Hin und wieder kratzte sich einer am Kopf, ging auf die Toilette oder lehnte sich zurück. Wer davon hörte, schüttelte den Kopf. Was bitte soll daran faszinierend sein?

Eine überraschende Niederlage von Weltmeister Carlsen und einen viralen Analkugel-Tweet später ist Schach nun also plötzlich in aller Munde. Ist der unter Betrugsverdacht stehende US-Jungstar Hans Niemann der Anti-Held, den es gebraucht hat, um einem Sport aus einem verstaubten Image zu helfen? Noch immer haftet Schach das klischeehafte Bild von älteren Männern und nerdigen Burschen (Frauen spielen leider viel zu wenige) an, die sich in Turnsälen, Hinterzimmern oder Parks stundenlang über ein Brett beugen.

Dabei hat spätestens der Online-Boom in der Pandemie ein völlig neues Zeitalter eingeläutet: Streamer erobern den Markt, indem sie ein junges Internet-Publikum mit launig kommentierten Partien (zumeist in kürzeren Varianten wie Blitz) unterhalten und damit in diese ganz eigene Welt des schieren Kampfs der Geister blicken lassen. Diese Entwicklung hat auch Carlsen als globale Marke mitgetragen und vorangetrieben, nicht umsonst setzt sich der Weltmeister für ein anderes WM-Format als 14 Mann-gegen-Mann-Duelle im klassischen Format ein. 

Denn dass im Schach immer schon große Leidenschaft, zuweilen noch größere Egos, mitunter die Weltpolitik und manchmal eben unlauterer Ehrgeiz, der über das Ziel hinausschießt, mitspielen, hat die Geschichte schon öfters gezeigt. Die Causa Niemann macht all diese Dramen, die sich im Kopf (hier auch stundenlang: Betrügt mein Gegner gerade?!) und hinter der Bühne abspielen, endlich für viele greifbar.

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