Die industrielle Zukunft: Automatisiert und individuell

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Bei Industrie 5.0 soll sich die fortschreitende Automatisierung mit menschlichem Fachwissen verknüpfen. Wie dies gelingen kann, zeigt das Langzeitprojekt Factory2Fit.

In der Industrie 5.0 soll der Mensch im Mittelpunkt stehen. Wie man eine industrielle Zukunft gestaltet, in der sich die fortschreitende Automatisierung mit menschlichem Fachwissen verknüpft, zeigt ein von der EU gefördertes Langzeitprojekt namens Factory2Fit. Zugrunde lag die Idee, dass intelligente Fabriken sich sowohl durch eine zunehmende Automatisierung als auch durch eine zunehmende Individualisierung auszeichnen – und dass in diesen dynamischen Umgebungen eine flexible und anpassungsfähige Arbeitsorganisation für die Produktivität und die Arbeitszufriedenheit entscheidend ist. „Das Projekt Factory2Fit unterstützt seit 2016 diese Entwicklung von Anpassungslösungen, mit denen Menschen mit unterschiedlichen Fähigkeiten, Fertigkeiten und Präferenzen engagierte, motivierte und produktive Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft in der Fertigungsindustrie werden können“, erklärt Marja Liinasuo, Projektmitglied und Senior Scientist am VTT Technical Research Centre of Finland. Der Kerngedanke von Factory2Fit ist, dass der Arbeiter ein Experte für seine eigene Arbeit ist und daher eine aktive Rolle bei der Gestaltung seiner Arbeit spielen soll. Die vorgeschlagenen adaptiven Automatisierungslösungen basieren auf einem dynamischen Benutzermodell, das physische und kognitive Fähigkeiten umfasst.

Co-designte Fabrik

Zu diesem Zweck wurde eine virtuelle Fabrik aufgebaut, um Ideen in Co-Design-Sitzungen mit Arbeitern und anderen Mitgliedern der Arbeitsgemeinschaft zu testen und weiterzuentwickeln. Ein Worker Feedback Dashboard sorgte dafür, Arbeitern persönliches Feedback zu Leistungen und Wohlbefinden zu geben – mit dem Ziel, kontinuierliches Lernen und Kompetenzentwicklung zu fördern. Die Arbeitsanleitungen und der Wissensaustausch wurden durch Augmented Reality Tools unterstützt.

Virtuelle Fabrikmodelle

„Virtuelle Fabrikmodelle werden als engagierte Plattformen für die partizipative Gestaltung von Arbeitspraktiken, den Wissenstransfer und die Schulung genutzt. Wichtig ist es, alle relevanten Interessengruppen in die Organisationsentwicklung einzubeziehen“, so Liinasuo. Sie ist überzeugt davon, dass die in Factory2Fit zu entwickelnden adaptiven Automatisierungslösungen zu einer reibungslosen Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine beitragen. Die positiven Folgen: mehr Arbeitszufriedenheit, die Verringerung von Gesundheitsproblemen am Arbeitsplatz, weniger Stress, bessere Ergonomie, bessere Qualität, weniger Fehler und höhere Produktivität. „Die adaptive Automatisierung soll den Weg für Wissensarbeiter ebnen, die in intelligenten Fabriken erfüllende berufliche Laufbahnen haben werden. Dies wird die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Fertigungsindustrie weiter verbessern und den Grundsatz einer verantwortungsvollen Fertigungsindustrie stärken“, ist Liinasuo zuversichtlich.

Augmented Reality im Fokus

Pilotanwendungen von Modellen wie Factory2Fit und ähnlichen mehr gibt es bereits rund um die Welt. Im Fokus stehen oftmals sogenannte Augmented Reality Assembly Guidance (ARAG) Solutions, die Arbeiter bei verfahrenstechnischen Aufgaben unterstützen sollen. Bei der manuellen Montage großformatiger Industrieprodukte etwa besteht eine Herausforderung darin, eine komplexe Aufgabe ausschließlich mit papierbasierten Bedienungsanleitungen bewältigen zu müssen. Die Verwendung dieser statischen Dokumentation erhöht nachweislich die kognitive Belastung der Mitarbeiter und erfordert häufige Fahrten zwischen der Montageeinheit und dem Werkzeugmagazin. Bei der ARAG-Lösung werden physische Dokumente durch Hologramme ersetzt, die über ein Head-Mounted Display (HMD) im Sichtfeld des Technikers angezeigt werden und das reale Produkt überlagern. Dank der HMD-Skills kann der Benutzer mit den 3-D-Objekten interagieren und sie manipulieren, indem er ihre Position und Skalierung verändert.

Win-win-Situation für alle Beteiligten

Erprobt wurde das ARAG-Tool beispielsweise in einem Werk der United Technologies Corporation (UTC), ein US-amerikanischer Technologiehersteller, seit 2020 Teil des Rüstungskonzerns Raytheon Technologies. Die Ergebnisse spiegeln das Potenzial der Lösung und die Akzeptanz der Techniker wider. So konnten die Montagearbeiten laut UTC präziser ausgeführt und zugleich die Zufriedenheit der Arbeiter erhöht werden. Darüber hinaus wurden die Schulungszeit und die Inspektion durch Experten minimiert, wodurch sich Fertigungszeiten verkürzt und Ressourcenauslastung maximiert haben. Eine Win-win-Situation für alle Beteiligten.

Auf Augmented Reality hat in einem Pilotprojekt auch das RWTH-Labor Aachen in Deutschland gesetzt. Die Ausgangslage: Im Anlaufwerk, wo Arbeiten zur Automobilendmontage anstehen, sollen Elektrofahrzeug-Prototypen für den Kurzstreckenverkehr gefertigt werden. Die Schwierigkeiten: Die Einarbeitungszeiten für Techniker sind hoch, die Prozesse aufgrund der Prototyping-Umgebung komplex und für die Arbeiter unbekannt. Außerdem sind die Spezialwerkzeuge oft nicht dort, wo sie benötigt werden. Die Bewegung des Wagens verursacht zudem ergonomische Probleme und kognitiven Stress. Die Lösung: Es wurde ein AR-basiertes Tool für die Visualisierung von Anweisungen eingesetzt, das auch Schulungsaktivitäten und Anleitungen am Arbeitsplatz ermöglicht. Im Hinblick auf die Ergonomie wurde ein autonomer Werkzeugwagen mit Sprachsteuerung und AR-
basierter Gestensteuerung integriert. Die Auswirkungen laut Unternehmensbericht: Die Zufriedenheit der Techniker hat sich verbessert, die Ergonomie ebenso, die Prozesszeiten wurden verkürzt und die Prozesseffizienz erhöht.

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