Medizin 5.0: Sicherer und präziser

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Mit der personalisierten Präzisionsmedizin bricht das Zeitalter der Medizin 5.0 an. Beschritten wird der Weg mit KI-Technologien. Ein Forschungszentrum für Präzisionsmedizin entsteht derzeit in Wien.

Es ist ein gewaltiger Umbruch, der in der Diagnose und Therapie von Krankheiten gerade im Gang ist. Die Rede ist vom Wandel hin zur personalisierten Präzisionsmedizin. Die Zielsetzung lässt sich simpel definieren: Die richtige Behandlung mit der richtigen Dosis zum richtigen Zeitpunkt für den richtigen Patienten. Erkrankungen werden dabei als einzigartige Situationen im Leben jeder Person betrachtet und nicht mehr als verallgemeinerbare Zustände.

Das neue Konzept basiert auf der Erkenntnis, dass zwei Menschen mit scheinbar ähnlichen Krankheitsbildern nicht zwangsläufig auf dieselbe Therapie in der gleichen Art und Weise reagieren. Die bisher auf der „one size fits all“-Behandlungsmethode aufbauende Medizin geht mit teils geringen Heilungserfolgen und häufig mit Nebenwirkungen einher. Die Konsequenz: Das Individuum und seine Spezifika müssen in den Fokus gerückt werden. Fakt ist, dass jeder Mensch eine einzigartige DNA hat und über eine einmalige, individuelle Gensequenz verfügt. Die hier gespeicherten Informationen trägt jede Person einerseits seit Geburt mit sich, andererseits unterliegt die DNA im Lauf des Lebens individuellen Veränderungen.

In Zukunft soll nun jeder einzelne Mensch als einzigartiger „Fall“ betrachtet werden, der aufgrund seiner genetischen Disposition, seiner Lebensumstände, seiner biologischen Merkmale, seiner individuellen Krankheitsgeschichte und seines Lebensstils – insbesondere bezüglich der gesundheitsaffinen Themen Ernährung und Bewegung –, mit keinem anderen im Detail vergleichbar ist. Diagnosen und Therapien tragen dem Rechnung. Sie werden maßgeschneidert.

Forschungszentrum in Wien

Grundlage der Präzisionsmedizin sind moderne Diagnostik-Methoden wie die Genom-Sequenzierung oder die molekulare Bildgebung. Damit soll es in Zukunft noch besser möglich sein, Patienten zielgerichtet und individuell zu behandeln und die Ursache der Erkrankung auf molekularer Ebene zu identifizieren. Das steigert die individuellen Heilungschancen enorm und könnte Menschen die Angst vor Krankheiten oder Behandlungen nehmen. „Das Konzept der Präzisionsmedizin wird sich sehr bald in allen Bereichen der Medizin durchsetzen und auch zu einem Paradigmenwechsel in der medizinischen Routine führen“, ist Markus Müller, Rektor der Medizinischen Universität Wien, überzeugt.

Am Med-Uni-Campus AKH entsteht gerade aus Mitteln der European Resilience and Recovery Facility und Spenden ein Zentrum für Präzisionsmedizin. Das sogenannte Eric Kandel Institut – benannt nach dem in Wien geborenen Nobelpreisträger für Physiologie oder Medizin (Entdeckung von chemischen und strukturellen Veränderungen im Gehirn aller lernenden Organismen) – wird als neue Forschungsinfrastruktur moderne Rahmenbedingungen für digitale und personalisierte Medizin schaffen. Hier werden künftig Diagnosen, Therapien und Präventionsmaßnahmen entwickelt, die an individuelle Faktoren angepasst sind. „Der Fokus des Zentrums liegt insbesondere auf biomedizinischer Forschung, klinischen Studien, Genom-Technologie, Bioinformatik und IT“, so Müller. Klinisch tätige Ärzte und Grundlagenforscher sollen in enger Kooperation und räumlicher Nähe neueste Erkenntnisse gewinnen, um Patienten am aktuellsten Stand der Medizin behandeln zu können.

Datenanalyse braucht KI

Die revolutionäre Entwicklung hin zur Präzisionsmedizin schreibt sich mit ihrem menschenzentrierten Ansatz in die Grundidee des Umbruchs zur Industrie 5.0 ein. Beide Entwicklungen benötigen umfangreiche Datenmengen. Für Richard Greil, Leiter der Inneren Medizin III an der Uniklinik Salzburg, kommt hier der unschätzbare Wert von KI-Technologien zu tragen: „In Anbetracht der exponentiell wachsenden Menge an Daten in Biologie und Medizin schlägt die Stunde der intelligenten Datennutzung.“ Ein konkretes Beispiel: Ist es beim Human Genome Project mit der Sequenzierung des menschlichen Erbguts noch um drei Milliarden Basenpaare gegangen, rechnen Experten bei der Sequenzierung des gesamten menschlichen Immunsystems bereits
mit einem hundertmilliardenfachen Volumen an Daten. Insbesondere in der Onkologie wird im Rahmen der Präzisionsmedizin intelligente Hilfe benötigt. „Krebserkrankungen sind die komplexesten Erkrankungen, die wir kennen. In den meisten Untersuchungen sind eingeschränkte Analysen des Genoms der Tumorzellen erfolgt, indem etwa von 450 Genen und deren Mutationsrate ausgegangen wurde. Es zeigt sich aber, dass ein Anteil von unter ein Prozent der Tumorpatienten dieselben Mutationen aufweisen. Würde man von einer sehr viel höhere Zahl an Genen ausgehen, dann ergibt sich mit hoher Wahrscheinlichkeit, dass jeder Patient seine eigene Krebserkrankung hat“, so Greil. „Wir rechnen damit, dass wir in fünf Jahren für die Entscheidungen bei einem einzigen Patienten rund 10.000 gut aufbereitete Daten benötigen werden“, so der Internist Greil, zu dessen Schwerpunkten die internistisch-onkologische Behandlung von Brustkrebs gehört.

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