Roboter-Chirurgie: Operationen mit Autopilot

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Roboter gewinnen in der Chirurgie zunehmend an Bedeutung. Die Technik hat das Potenzial, Operationen sicherer zu machen.

Operationsverfahren mithilfe von Robotern werden bereits seit Jahren in der Chirurgie durchgeführt. Die OP-Maschinen kommen quasi als verlängerter Arm der Chirurgen zum Einsatz, um deren Bewegungen zu übersetzen. Dass sich die Technologie permanent weiterentwickelt, zeigt ein jüngstes Fallbeispiel. Ende 2021 wurde an der Universitätsklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten der Med-Uni Wien und AKH Wien eine der weltweit ersten Operationen mit einer neuen Roboter-Technologie (Hearo, entwickelt vom Schweizer Medizintechnikunternehmen Cascination und betrieben gemeinsam mit dem Innsbrucker Medizintechnikunternehmen MED-EL) erfolgreich durchgeführt. Für die moderne Medizin bedeutet die in Wien erfolgte Cochlea-Implantat-Operation, bei der der Zugang zum Innenohr hinter der Ohrmuschel erfolgt, gleich einen zweifachen Quantensprung: Zum einen arbeitete das neue System vollautomatisch ohne manuelle Steuerung von Chirurgen, und zum anderen war das hochpräzise Navigationssystem mit einer so geringen Schwankungsbreite ausgestattet, dass auf engstem Raum ein minimalinvasiver Eingriff möglich wurde.

„Diese neue Technologie ist vergleichbar mit dem Autopiloten im Flugzeug. Wie der Autopilot arbeitet der Roboter mit einem exakten Navigationssystem, in das alle Informationen über die Hörschnecke, in die das Cochlea-Implantat eingesetzt wird, und die Position des Gesichts- und Geschmacksnervs eingespeist werden“, erklärt HNO-Klinikleiter Wolfgang Gstöttner, unter dessen Leitung die Cochlea-Implantat-Operation durchgeführt wurde. „Der Chirurg steuert bei dieser Technologie nicht mehr manuell. Der Roboter wird gestartet und arbeitet dann ohne händische Steuerung.“

Spezialisten sind an dem Vorgang dennoch beteiligt. Teil der Technologie ist ein transportables intraoperatives Computer-Tomographie-(CT)-Gerät. Vor dem Start des OP-Roboters wird damit eine CT gemacht, in das die Spezialisten mit einer eigenen Software genau einzeichnen, wo die Hörschnecke und die umliegenden Nerven liegen. Auf Basis dieser Daten erstellt das Hightech-Gerät ein 3-D-Modell und berechnet, ob der Roboter einen passenden Winkel für den Zugang in die Hörschnecke setzen kann, ohne Arterien und Nerven zu treffen. Erst wenn diese Berechnung positiv ist, kann der Roboter mit dem eigentlichen Eingriff starten. Den Hautschnitt hinter dem Ohr setzt vorher noch der Chirurg, ebenso wie vier bis fünf Schrauben, die der Roboter als Fixierpunkte braucht. Auch das Implantat selbst wird nach der Bohrung händisch in die Hörschnecke gesetzt; Mensch-Maschine-Kollaboration im besten Sinne des Wortes.

Roboter im Vormarsch

OP-Roboter gewinnen auch zunehmend in der Viszeralchirurgie (Chirurgie des Bauchraumes und der Bauchwand, der endokrinen Drüsen und der Weichteile) an Bedeutung – also genau in jenem Bereich, in der die roboterassistierte Chirurgie zwar ihre Wurzeln hat, aber lange Zeit nicht entscheidend weiterverfolgt wurde. „Der große Mehrwert wurde nicht gesehen, denn die meisten Eingriffe konnte man ebenso gut ohne Roboter durchführen. Zudem haftete der Technik hier ein gewisser Ruch an; ein Hilfsmittel für die Chirurgen, die es ohne nicht ‚richtig‘ können“, erklärt Beat Müller, Leiter der Sektion für minimalinvasive und Roboter-assistierte Chirurgie am Universitätsklinikum Heidelberg. In einem Gespräch mit der Medizintechnik-Plattform healthcare-in-europe.com erläuterte der Experte vor wenigen Wochen, warum sich das nun geändert hat und was von OP-Robotern in Zukunft erwartet werden darf.

„Die Viszeralchirurgie hat sich weiterentwickelt, und inzwischen ist klar, dass mit dem Roboter auch komplexe minimalinvasive Operationen möglich sind“, so Müller. Wenn Eingriffe in sehr beengtem Raum stattfinden und Operateure mit Hebel- und Spiegeleffekten bei der Bedienung der Instrumente vor großen Herausforderungen stehen, spielen Roboter ihre Stärken aus. „Ein Computer rechnet die Spiegelung und Hebeleffekte heraus, sodass die Abläufe viel intuitiver sind.“ Die operative Entfernung der Speiseröhre etwa werde heute fast nur noch minimalinvasiv per Roboter durchgeführt – und sie stellt ein gutes Beispiel dar, wie die neue Technologie zur Verbesserung einer gefährlichen Operation beigetragen hat. „Früher lag die Mortalität hier bei zehn Prozent. Heute sind es nur noch drei Prozent, und wer darüber liegt, muss das gut begründen können. Ich würde mich jedenfalls nicht mehr dazu hinreißen lassen, die Operation ohne Roboter durchzuführen, denn der Eingriff wird dadurch nicht nur sicherer, sondern auch deutlich entspannter“, sagt Müller und weist auf einen weiteren Vorteil beim Einsatz von OP-Robotern hin: „Es geht nicht unbedingt darum, ob ein Chirurg mit oder ohne Roboter besser operiert. Viel interessanter ist der Aspekt, wie viele Eingriffe nötig sind, bis ein Operateur einen Eingriff gut beherrscht. Und in diesem Punkt bringen robotische Systeme einen großen Mehrwert.“

Sicherer und präziser

Beat Müller ist überzeugt, dass mit besserer Verfügbarkeit der OP-Roboter auch deren Repertoire steigen wird. Diesen Trend könne man schon jetzt in den USA erkennen, da dort viele OPs von den Patienten selbst bezahlt werden. Die ausgereifte Technologie spielt dabei gar nicht die Hauptrolle. „Der weitest verbreitete Roboter, der zurzeit den Markt beherrscht, ist schon extrem gut. Ganz banale Eingriffe wie eine Gallenblasenentfernung werden durch ein solches Assistenzsystem fast so einfach, als würde man sich die Schuhe zubinden“, verweist Müller darauf, dass es aktuell mehr um den Kostenfaktor geht. Dass sich die Robo-Chirurgie durchsetzen wird, ist laut Müller unzweifelhaft: „Die Technik hat das Potenzial, die Chirurgie sicherer zu machen, die Lernkurve für bestimmte Eingriffe zu verkürzen und höhere Präzision zu gewährleisten.“

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